Sie stand tapfer vor den beiden. Sie begrüßte tapfer die Baroness neben ihm, seine Verlobte. Sie stand mit gerader und tapferer Haltung da. Sie lächelte sogar tapfer.
Tapfer? Tapfer? Du hättest am liebsten geheult wie ein Schlosshund! Geflüchtet wärst du am liebsten und hättest dich in die nächste Ecke gehockt und die Nacht durchgeheult.
Ja, verdammt! Das hätte sie am liebsten getan! Sie hatte sogar überlegt sich eine Gelegenheit zu suchen, irgendeine Ausrede zu finden. Ihr sei auf einmal nicht gut, übel, oder Schmerzen oder sie müsse noch etwas holen. Ihre Gedanken ratterten und ratterten, sie wollte am liebsten nur weg, weg, weit weg.
Aber sie konnte nicht, sie durfte nicht. Der Fürst war ihr in keinerweise verpflichtet. Er durfte tun und lassen was er wollte. Also hatte er jetzt eine Verlobte. Na und? Dann ist das halt so. Sie konnte sich das zwar gerade in keinsterweise erklären. Besonders die Tatsache, dass sie urplötzlich da war und noch nicht mal Ardeyn von ihr wusste. Aber das war jetzt nicht wichtig. Nicht wichtig für diesen Abend.
Wichtig ist, dass Lysawyn die Diplomatin war und Diplomaten stellen ihre Gefühle hinten an. Zudem will sie auch erwachsen sein. Sie IST erwachsen und das bedeutet, dass sie jetzt nicht wie ein Kind losflennen kann, das nicht kriegt was es will.
Also, tat sie ruhig und besonnen, wenn auch etwas verkrampft. Aber sie blieb ruhig und begrüßte die Frau höflich und freundlich, so wie es sich gehört.
Doch der Abend wurde nicht leichter. Im Gegenteil. Er wurde stets schwieriger und sie musste krampfhaft mit sich kämpfen. Erst wird der Fürst beschuldigt, Anführer einer Verräter und Mördergruppe zu sein und dann will er freiwillig in diesem bewaffneten Haus bleiben. Alleine! Als Gefangener! Ohne seine Gefolgsleute! Doch…, sie hatten zu gehorchen und das taten sie auch.
Sie gingen, brachten die Baroness in ihr Zimmer, holten den Kämmerer. Der ihn dann schließlich, nach Ewigkeiten des Wartens, bewusstlos mit Wunden und Prellungen aus dem Sippenhaus der Salasandra holte.
Das war wirklich der letzte Punkt an dem Lysawyn am liebsten vor Sorge zusammengebrochen wäre. Aber, sie war die Diplomatin. Genau. Du bist eine verdammte Diplomatin. Bleibe souverän und ruhig, lass dir bloß deine hoffnungslosen Gefühle nicht anmerken.
Was sie nicht gerne getan hätte! Viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Gedanken der Rache, Gedanken der Verzweiflung, Gedanken der Eifersucht und der Verständnislosigkeit.
Ein Sprudel der Gefühle war in ihr und sie biss krampfhaft die Zähne zusammen bis sie endlich den Ort des Geschehens verlassen konnte.
Ihr nächster Halt waren die Nordhöhen und die Lager der Orks. Sie kämpfte verbissen, wütend, verzweifelt, weinend gegen die unerbittlichen Monster. Lysawyn war brutal, schnell und ließ nicht lange mit ihren Angriffen auf sich warten.
Immer wieder schossen ihr die Gedanken durch den Kopf: „Er ist dir keine Erklärung verpflichtet, er ist es nicht. Er ist dir zu gar nichts verpflichtet!“
Und trotzdem, als er wieder wach gewesen war bot er ihr eine Erklärung an. Sie hatte noch nicht mal darum gebeten. Ihre Blicke hatten wohl mehr Preis gegeben als sie wollte. Ob sie ihre Gefühle doch nich so verstecken konnte? Sie hasste sich dafür, dass sie einfach nicht los lassen konnte. Dieser Mann machte sich seit Wochen in ihrem Kopf breit und sie konnte an nichts anderes mehr denken.
Du willst auch gar nicht loslassen! Du hast immernoch gehofft! Doch jetzt ist die Baroness da! Du bist nichts anderes als seine Schülerin, als die Diplomatin. Du wirst auch nichts anderes sein. Niemals.
Sie wehrte sich gegen diese Gedanken, sie wehrte sich mit Wut und Brutalität. Sie wollte es nicht glauben, noch nicht. Doch Ardeyn selbst meinte einst, der Fürst wird heiraten müssen. Er wird Erben bekommen müssen. Das ist die Pflicht eines Mannes vom hohem Adel.
Nach langem Kampf und erschöpftem Atem sah sie am Ende auf ein zerstörtes Orklager und blutgetränkte Schwerter in ihren Händen. Das feste schützende Leder ihrer Rüstung war schmutzig und verdreckt. Ihr Gesicht zerknittert und gemischt mit salzigen Tränen und dunklem Blut.
„So hab ich also doch in das Feuer gegriffen und mich schmerzhaft verbrannt. Ich bin selber Schuld. Selber Schuld.“
Die Schwerter in ihren Händen fielen klirrend zu Boden. Sie sank nieder im Dreck des kalten Schlammes und ließ die salzigen Tränen abermals kommen. Hier war sie allein, keine Diplomatie, keine Schauspielerei. Und so blieb sie dort auch bis spät in den Abend hinein…