Die Stadt im Nebel verändert sich fortwährend, sie ist wie ein Lebewesen, das atmet, wächst und in wirbelnden Wogen immer neue Gestalt annimmt.
Der Haushalt trat zusammen, zum ersten Mal seit meiner Ankunft. Nun kenne ich alle Gesichter, alle Namen, auch wenn ich noch nicht mit jedem sprach. In manch einem Fall ist das ohnehin müßig. Verschwendeter Atem, verschwendete Stimme, und die meine ist schon so heiser.
Sanguisa und Charls sind zurück. Ob sie sich erinnern? Ich weiß es nicht. Im Grunde ist es auch ohne Belang. Der Mann lebt, tatsächlich, und er fand aus dem Rauch zurück in die Dienste des Fürsten. Er erneuterte seinen Eid. Einen Eid auf den Tod, mit Tinte begossen. Der Fürst ist fürwahr ein merkwürdiger Mann mit einem merkwürdigen Sinn für Humor.
Am merkwürdigsten jedoch ist Sanguisa. Sie wirkt so abweisend, düster und rau. Ihre Augen funkeln kalt, hart und doch schön. Elbenaugen eben. Grüne Scherben, die sich in das Gesicht ihres Gegenübers bohren. Dennoch hatte ich gehofft, dass sie Rodgar den ersehnten Frieden bringe würde, nachdem er tage- vielleicht sogar wochenlang nach ihr Ausschau gehalten hat, den Blick beharrlich in die Ferne gerichtet.
Doch die Hoffnung war vergebens, seine Zwillingsflamme leuchtet für Charls. Oder so wirkt es. Manchmal brennt eine Kerze an zwei Enden, und das lichterloh.
Mir ist kalt, während ich diese Zeilen schreibe, ich muss das Feuer schüren. Aus den Ecken kriechen Schatten, die Dunkelheit wächst. Und mit ihr die Einsamkeit. Jene anderen Augen, so leblos, so kalt, voll gefrorener Wut…Ist wirklich alles verloren, nun, da die Lichter verlöschen und die Zwillingsflamme nur noch von Ferne Wärme spendet? Ich weigere mich, mich schon geschlagen zu geben. Vielleicht bin ich doch schon zu lange Medicus. So etwas färbt wohl ab.
Doch das allein ist es nicht. „Licht und Schatten bedingen einander, das eine kann ohne das andere nicht sein…“ Ich ging durch Schatten, das Feuer weiß es. Stehe ich dafür jetzt im Licht? Wohl kaum. Aber wenn ich dafür sorgen kann, dass sich einer nicht im ewigen Dunkeln verliert, dann werde ich das versuchen. Bei diesem einen zumindest. „Wir haben einiges gemeinsam“, sprach er. Oh ja, das haben wir wohl. Vielleicht mehr als wir glauben, wahrscheinlich mehr als gut ist. Eines jedoch trennt uns. Ich bin nicht bereit, den Drachen siegen zu sehen.
Es wird ihm nicht gefallen, es ist vermutlich besser, wenn er es nicht weiß, nicht einmal ahnt. Aber…ist es möglich, dass das Letzte, was am Ende zwischen ihm und der endlosen Nacht steht, der letzte Balken vor dem freien Fall, eines Tages, ausgerechnet – ich sein könnte?
Ich muss mit Sanguisa sprechen, und wenn sie mich noch so kalt anfunkelt mit ihren grünen Scherbenaugen. Bald.
Und ich muss das Feuer schüren. Sonst erfriere ich noch.