Irrlicht

Iyrawen
2. April 2008 • Kommentare: 0

Zugegeben. Ich war unausgeschlafen. Müde. Übernächtigt.

Diese Träume, sie schaffen mich immer wieder. Fetzen der Vergangenheit, Erinnerungen. Ich will sie nicht. Sie sollen ruhen, sie sollen Asche sein. Und doch kommen sie immer wieder.

Und was als unerfreulicher Tag begonnen hatte, wurde zu einem noch unerfreulicheren Abend. Vor allem wegen diesem elenden Klingenputzer, diesem Ardeyn. Oh, wie ich diesen Hauptmann verabscheue, die ungehobelte Zunge könnte ich ihm herausschneiden und langsam über kleiner Flamme rösten!  Er wollte mir tatsächlich befehlen, fünf Strafrunden um den See zu laufen, mir, dem Medicus des Hauses! Und als ich mich weigerte, die gleißende Wut nur mühsam zügelnd, da nannte er mich – ich könnte Feuer speien vor Zorn! – eine Frau in den Wechseljahren. Mich! Nur weil ich nicht zu jenen braven Lämmern gehöre, die mit sanftem Augenaufschlag zu ihm aufschauen und sich klaglos von ihm herumschubsen lassen!

Aber was rege ich mich auf. Der süße Tag meiner Rache wird kommen. Das tut er immer. Irgendwann landet jeder beim Medicus. Jeder. Selbst ein Hauptmann Ardeyn.

Und dann Giselher. Er war es, der mich überhaupt erst in die Verlegenheit brachte, meine Stimme an Ardeyn zu verschwenden. Dieser hinterlistige, kahlköpfige Narr. Einen Tee bot er mir anschließend an, zur Beruhigung. Einen Tee! Am liebsten hätte ich ihm das wässrige Gebräu ins Gesicht geschüttet! Ich werde ihn mir nochmal vorknöpfen, diesen hirnverbrannten Hauptmann, der keiner mehr ist.

Ich sprach auch mit Lynne. Jedenfalls versuchte ich es. Aber sie war verwirrt, sie sorgte sich um den Fürsten. Der wiederum hatte nichts Besseres zu tun, als seine Wachen frei zu stellen und – spazieren zu gehen. Dass sein halber Haushalt sich Sorgen um ihn machte, schien ihn nicht zu kümmern. Vielleicht bemerkte er es nicht einmal. Manchmal denke ich, er ist wie ein Irrlicht im Wald. Hüpft hierhin, flackert dort auf und stiftet überall Verwirrung. Und meine Ahnung scheint sich zu bestätigen, er weicht mir aus. Warum auch immer er sich dann eine Medica ins Haus geholt hat.

Lynne hingegen – sie ist so still, so in sich gekehrt. Dabei scheint viel mehr in ihr zu stecken. Wie alt mag sie sein, zwei, drei Jahre jünger als ich? Dazwischen liegt eine ganze Welt. Sie wirkt wie eine zarte Flamme hinter Glas. Aber wehe, wenn das Glas entzwei bricht. Es könnte sein, dass sich dahinter ein Flächenbrand verbirgt.

Nein, es war kein erfreulicher Abend. Der einzige Lichtblick war das Gespräch mit Sanguisa. In einem Haushalt voller Narren scheint sie die einzige Person wachen Verstandes zu sein.

Und natürlich Rodgar. Er spürte schon, wie zornig mein Herz raste, noch bevor ich ihn in der aufziehenden Dämmerung überhaupt bemerkt hatte. Wie auch immer er das macht.

Ich bin müde, ich sollte schlafen gehen.  

Wenn ich nur nicht solche Angst davor hätte, zu träumen.

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