Er hatte gekämpft wie ein Löwe.
Gekämpft – und er hatte verloren. Hatte er doch, oder? Während seine Frau im Gras neben ihm lag, dachte er an all die Namen zurück. An jeden einzelnen von ihnen.
Da war Wor, der Zwerg. Man hatte ihm berichtet, aber er selbst hatte ihn kaum jemals zu Gesicht bekommen. Dennoch war das nicht wichtig. Er hätte von Dronin sicherlich eine Warnung bekommen, wäre etwas zu befürchten gewesen. Die kam nie. Und so gab es für ihn auch nie einen Grund für echtes Mißtrauen. Man konnte sich auf ihn verlassen. Mehr gab es nicht zu wissen.
Kashin und seine Frau Iverin sowie Djaiir waren ihm gegenüber zumeist zurückhaltend gewesen. Er konnte sich nicht an viele Probleme erinnern. Aber er wußte, daß sie immer irgendwo im Hintergrund gewesen waren. Alle drei. Auch an ihnen gab es nie Grund zu zweifeln.
Der Knoten um Sanguisa, Charls und Rodgar. Irgendwie hatte er sich in Alejandros Augen nie ganz gelöst. Aber dennoch hatten alle drei alles ihnen mögliche getan um das Haus zu schützen. Dabei hatte er es, hätte er sie von vorn herein beurteilt, von ihnen am wenigsten erwartet. Um so größer wohl das Geschenk, welches sie ihm somit gemacht hatten.
Was Roawen und Reowin anging, es hatte ihn selbst stets verwundert, daß er bei der Namensähnlichkeit es tatsächlich nie verpatzt hatte und versehentlich einen beim anderen Namen gerufen hatte. Was bei diesen beiden wohl fatale Folgen gehabt hätte. Wahrscheinlich hätte es der unstete Roawin übel genommen – und die dafür sehr bodenständig wirkende – weiter hatte er nie blicken können – Roawen… Die… Tja. Wahrscheinlich hätte sie einfach gelächelt und sich gedacht er habe zu viel getrunken.
Milita und Bluebell hatte Alejandro ebenfalls weniger oft zu Gesicht bekommen als ihm lieb war. Wann immer er sie sah vermochten sie es jedoch seine Laune zu heben. Ihm eine Idee von Unbeschwertheit zu vermitteln. Etwas, wofür er sie Zeitlebens beneidet hatte. Und das er in ihrer Abwesenheit stets vermißte.
In Sachen Lysawyn waren die Sachen anfänglich komplizierter gelegen. Es war nicht leicht herauszufinden womit sie im Haushalt am glücklichsten werden konnte. Aber es half, daß sie bald jemanden hatte mit dem sie es war. Sie schien glücklich, vor allem in den letzten Jahren.
Ein unterztrennliches Paar waren Lires und Heruwen gewesen. Alejandro erinnerte sich deutlich, wie er Letztere das erste Mal getroffen hatte. Und später an all die langen Diskussionen um gute und schlechte Poesie. Den teils gelangweilten, teils interessierten Gesichtsausdruck von Lires, während sie daneben stand und krampfhaft versuchte nicht zu lachen, wenn sich die anderen beiden immer wieder auf den Arm nahmen.
Hauptmann Aldorn hatte Ordnung in die Wachen gebracht. Bergon Strago war unter seiner Führung gewachsen und zu einem hervorragenden Soldaten geworden. Und in Lynne hatte er eine ebenso hervorragende Adjutantin. Zusammen mit Aregan bildeten sie immer einen guten Grundstock für die Wache, welcher dann und wann durch Truppen von Außen verstärkt wurde. Alejandro hätte manchmal viel dafür gegeben nach einer langen Schicht mit ihnen sitzen zu können und ihnen beim Lachen zuzuhören.
Kampfgefährten fand man, nach damals etwas langwierigen Besprechungen, in einer Gemeinschaft, die sich Sonnenwind nannte. Ehrenwerte Männer und Frauen an denen Manieren nicht völlig vorbei gingen. Was auf zwei Weisen tröstlich war: Einerseits, weil man verläßliche Gefährten in ihnen hatte. Und andererseits weil sie Höflichkeit und wohlgewählte Worte zu schätzen wußten. Für den letzten der beiden Umstände schätze er sie um so mehr.
Die bevorzugte Verstärkung waren natürlich hauptsächlich Merouns Klingen unter Damares‘ Führung. Zwar war Alejandros „Tod“ nie ganz vergessen, aber er glaubte behaupten zu können, daß die Klingen und sein Haus mehr verband als eine reine Nutzverbindung. Er hatte es in wenigen seltenen Momenten gespürt. Als Drakon zu ihm kam um sich für die Hilfe bei der Suche nach Damares zu bedanken. Wie er es tat. Als er seinerseits Damares suchte, kurz nach dem Tod Morferths. Sogar Morferth selbst. Und Tolon der verhinderte Henker war immer ein guter Gesprächspartner gewesen, auch wenn man es bei ihm wohl nicht erwartete.
Nicht zu vergessen die Männer aus Thal. Elmion als persönliche Wache seiner Frau – und deren Waffentrainer, sehr zu Ardeyns Ärger. Und Ardeyn selbst wiederum als Alejandros Leibwache. Er wußte nicht, ob die anfängliche Aversion, welche er glaubte verspürt zu haben, je verflogen war. Oder vielleicht war es auch nur die gänge Art in Thal miteinander umzugehen. Dennoch, Elmion und Ardeyn waren die besten Männer für ihre Aufgaben. In ihrer Nähe gab es nie Grund um den Hals des anderen zu fürchten. Außer natürlich Ardeyn zückte selbst den Bogen.
Ardeyn hatte sich stets um den guten Zustand der Waffen gekümmert. Und Dronin um den der Rüstungen. Er war ein begnadeter Rüstschmied. Das – und ein begnadeter Zuhörer, sofern er die Zeit fand. Alejandro hatte ihm seinerzeit Unterstützung zugesichert. Ob es ausgereicht hatte… Er hoffte es, ja. Er hoffte der Zwerg hatte etwas gefunden, was ihm helfen konnte mit all den Problemen, die er zu haben glaubte. Und hatte.
Für Zerstreuung hatte eine junge Bardin gesorgt, welche ihm unter dem Namen Navae vorgestellt wurde. Dann und wann hatte er aus dem Augenwinkel einen anderen jungen Mann gesehen. Was die beiden verband wußte er nicht. Aber er ahnte. Er selbst hätte nur wenig anders gehandelt.
Ellena… Seine Frau hatte in ihrer Zofe Mynerya eine ergebene Dienerin und so manches Mal eine Vertraute gefunden. Der Fürst seinerseits in seiner Frau. Er hätte sich keine bessere Beraterin wünschen können. Keine bessere Freundin. Niemanden, dem er mehr traute als ihr. Sie, die sie verstand wie er dachte. So manches mal glaubte er, sie wäre die einzige mit dieser Gabe.
Man hatte ihm einst gesagt es wäre wichtig für ihn, Freunde zu haben. Menschen, die ihm zuhören würden. Iyrawen, die Medica, war eine davon gewesen. Ihre Meinungen waren spontan und zumeist gerade heraus. Ähnlich verhielt es sich mit Calida, nur verband diese noch ein engeres Band zu ihm. Er hatte sie oft im Scherz Tochter gerufen und sie ihn Väterchen. Und wie lieb wäre es ihm gewesen, wäre es so. Mit niemandem jedoch verband ihn mehr als mit seinem alten Kämmerer Alrich Dorn. Niemand wußte mehr über ihn. Sie beide hatten einander in ihren stärksten – und vor allem in ihren schwächten Momenten erlebt. Er kannte alle seine Geheimnisse. Und nun sollte er ihn also überleben…
Hatte er also wirklich verloren? Er würde die Antwort kennen. In dieser und jeder anderen Welt. Sie erfüllte ihn mit Stolz. Und mit einem seltsamen Gefühl der Geborgenheit, egal wer von ihnen nun an seiner Seite gewesen war. Sie alle hatten sein Leben verändert. Er vielleicht auch das ihre. Und nur durch sie alle konnte er in dem Bewußtsein gehen, etwas gut, etwas richtig gemacht zu haben. Egal wie gering der Anteil.