Manchmal, Herr Fürst, wäre so ein Fünkchen Verstand schon keine schlechte Idee, findet ihr nicht? Aber was schreibe ich, vorne anfangen ist immer besser.
Man schickte mir einen Brief gestern. Aus den Händen eines Grafen, der zwar nahe zu sein scheint, es irgendwie aber nicht für nötig hält ein Auge auf seine eigene Schwester zu werfen. Besagte Schwester wiederum kennt die Manieren, die man ihr anerzog – und anscheinend auch, wie man sie beiseite schiebt. Denn als ich sie sprach um ihr den Brief ihres Bruders zu zeigen, stand so vor mir in Hosen. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber ich stimmte dennoch zu und bot an, sie unter den Schutz des Hauses zu nehmen. Ich wette das gibt noch Ärger. Bilde mir ein, erst kürzlich den Barden bei ihr gesehen zu haben.
Und ich selbst? Nahm meine Rose mit mir, hielt sie in den Armen, in den Händen, hätte abermals nur endlich zugreifen müssen und – steche mich an ihren Worten, lasse mich abermals in meine Schranken weisen und ziehe unverrichteter Dinge abermals mit ihr ab. In früheren Tagen wäre mir das nie passiert. So muß es sich also anfühlen, wenn man entweder sehr alt wird – oder alternativ auch wahnsinnig. Vielleicht ein Stück von beidem. Denn den Verstand verliere ich wahrlich.
Habe ich mir wirklich Gedanken gemacht, wie es mit uns allen weitergehen soll? Wie lange wird es dauern, bis man der armen Ellena vorwirft ihr Mann – welcher ich dann sein werde – hielte ihr nicht die Treue? Und zu Recht. Sie weiß, daß ich das nicht tun kann. Und die Frau, mit der ich sie breche? Wird nie haben, was Ellena hat. Die Gesten, den Namen, die Augen der anderen. Man wird sie nicht sehen.
Damals, es scheint nun Jahre her zu sein, was es nicht ist, war mir, das wäre ein Fehler. Ein Problem. Etwas Schlimmes. Und heute ertappe ich mich dabei einen seltsamen Reiz genau darin zu sehen. Die Gedanken eines jungen Burschen, der längst hätte erwachsen werden sollen.
Und zwischen rein schiebt sich Zorn. Sowohl Lynne als auch Lysawyn sprachen Ellena um sich zu entschuldigen. Beide sprachen auch mich zu dem selben Zweck. Aber obwohl sie fast die gleichen Worte wählten, gibt es einen grundliegenden Unterschied: Lynne sagte, sie habe einen Fehler begangen. Es täte ihr leid. Sie würde alle Konsequenzen tragen. Lysawyn sagte, sie habe einen Fehler begangen. Es täte ihr leid. Sie würde alle Konsequenzen tragen. Aber man hätte sie zu verstehen, denn sie sei noch jung und gereizt und überfordert. Der Unterschied? Das eine ist ein Eingeständnis eines Fehlers und von Schwäche. Das andere eine Rechtfertigung für Schmerz, die man verteilt hat. Eine Rechtfertigung, die nur spärlich genügt. Denn die Jugend entschuldigt nicht alles. Leider ist sie auch zu jung das zu verstehen, nehme ich an.
Und so sehe ich also am Abend in die Augen meiner Leibwache Lynne. Sehe die gleiche Jugend. Und eine völlig andere Reife. Obwohl sie es ist, die unschuldig vor mir steht, nicht das Mädchen, welches in Ardeyns Armen Trost findet und dennoch behauptet, die Welt wäre ihr zu schwer. Wie kann sie das denken, mit diesem Mann an ihrer Seite? Ich kenne ihn zu gut, als daß sie sich Sorgen machen müßte.
Nie wieder wünsche ich diese Augen zu müssen. Ich sollte ihrer Gedenken, wenn ich das nächste Mal Wut über die Jugend empfinde. Ruhe darin finden.
Ooc: interessant.
Der Phil Collins hat da mal ein gutes Lied zu gemacht: Both sides of the story. Was bedeutet, es gibt immer zwei Arten eine Sache zu sehen. Mindestens! 😉
Ob Liebe oder Hass überwiegt liegt am Ende in Augen des Betrachters, so ist es auch bei anderen Dingen, nech? 😉
ooc: *hat jetzt den Text so zwei, dreimal gelesen und verharrt dennoch erstmal einfach still schweigend mit berührter und gleichsam nachdenklicher Miene davor*