Ein einziger Tropfen Liebe war es, den sie bekam, selten, wenn die Zeit es zuließ, wenn Laiwyns Laune es zuließ – und doch hätte sie damit ganze Meere füllen können.
Der widerliche Geruch der alten, versifften Matratze der verlassenen Herberge stieg ihnen beiden in die Nase. Mit den Armen hinter dem Kopf verschränkt lagen sie da, starrten an die Decke. Wasserflecken, Schimmel, Spinnweben, der Rauhputz am abblättern. Das Kissen unter den Händen kratzig, zugleich hinterließ es einen schmierigen Film auf der Haut. Wieviele hatten hier wohl schon vor ihnen geschlafen?
Erelya zog ihre linke Hand hinter dem Kopf vor, betrachtete ihre Finger. Noch immer offene Wunden, kaum eine dünne Hautschicht hatte sich darüber gebildet. Noch immer nässten die Schürfwunden, brannten wie Feuer. Testweise krümmte sie einen Finger nach dem anderen, riss damit frischgebildeten Schorf wieder auf, verzog dabei keine Mine. Es hätte schlimmer sein können. Sie hätten sich bei diesem Sturz die Hand brechen können. Es war eher ein Wunder, dass es nur bei Schürfwunden geblieben war.
Langsam, wie in Zeitlupe, übervorsichtig bewegten sich ihre Finger zu ihren Wangen, strichen beinahe sanft über das blau geschwollene Auge, zogen eine feine Linie hinunter zu ihrem Hals, wo sie noch immer das unangenehme Prickeln der groben Finger, die sich vor wenigen Tagen darum geschlossen hatten, fühlen konnte. Erelya leckte sich über die Lippen. Wenigstens dort war die Heilung schon fortgeschrittener. Diese verdammten Wunden würden sie verraten können, je schneller sie verschwanden, desto besser.
Im Nebenraum übergab sich jemand lauthals, selbst das ekelerregende Plätschern des Bier-Nachtmahlgemisches auf den splitternden Dielen drang durch die morsche Holztür. Den Geruch nahmen sie schon nicht mehr wahr. Erelya war müde, Laiwyn hatte sie den ganzen Tag durch die Lande gehetzt. Zornig, tobend, dann wieder sanft schnurrend um Erelya unter Kontrolle zu halten. Und Erelya gehorchte. Wie immer, wie sie es schon seit Jahren tat.
Die rechte Hand zupfte einen abstehenden Hautfetzen von der linken, Elya zuckte zusammen.
„Au! Das tut weh!“
„Hör auf zu jammern. Du hättest Schlimmeres verdient.“
Vielleicht, vielleicht war es eine falsche Entscheidung gewesen, doch was machte das schon aus. Es war ihre Entscheidung gewesen, ihre, ganz alleine. Laiwyns Zorn war furchtbar gewesen, Erelya hatte sich nicht lange wehren wollen, können, und ließ Laiwyn wieder die Kontrolle über ihr Denken und Handeln. War es Schwäche gewesen? Sie liebte ihre Schwester, mehr als alles andere auf diesem verfluchten Boden. Laiwyn wusste das, doch vorallem: Sie wusste es zu nutzen.
„Lai… es t-„
„Schweig einfach.“
Und Erelya schwieg für den Rest der Nacht. Laiwyn lächelte süffisant, stand auf, schüttete das Wasser aus dem Trinkschlauch auf den Boden und zog los, ihn wieder mit Milch zu füllen.
In Bree gab es einen Händler, mit noch frischer Milch zu dieser späten Stunde. Es war das Risiko wert.
Zuviel – und doch nie genugImmerschatten27. Mai 2008 • Kommentare: 0 • |
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