Von gebrochenem Stolz und gefundenem Mut

Immerschatten
8. Juni 2008 • Kommentare: 8

Verband. Noch einer. Und noch einer. Noch immer starrte sie durch sich selbst hindurch auf den Boden.

„…lasst es, der Tag war schon aufregend genug.“
Najisa wandte sich ab und ging zur Tafel, Milch holen. Reowin blieb gerade so hocken, auf dem Podium oben, schmunzelnd. Idiot.

„Dieser Tag hat ihr zwei Dinge gezeigt.“
Im Hintergrund das Geräusch von Milch, die ihren Weg in zwei Becher fand.
„Zum einen die Schatten, die einen irgendwann einholen und zum anderen Vertrauen, hm?“
„Denkt drüber nach.“

Dabei hatte sie sich so geschworen, gerade das nicht zu tun.

Das Clanrecht fiel ihr ein. Wieder und wieder. Wer dein Leben rettet, dem gehört es. Halb war sie froh, aus dieser Hütte geholt worden zu sein, halb verfluchte sie alles und jeden dafür.
„Das nächste Mal helfe ich dir nicht.“ Laiwyns Zorn hatte sie hingehalten, sie getreten, geschlagen, bespuckt und verflucht. Den Schmerz vertrieben, ihr Kraft gegeben die sie alleine nicht gehabt hätte.
„Das nächste mal, leg sie um oder verreck selbst.“ Elya erwiderte nichts, betrachtete im Schein des Kamins im Nebenzimmer des Sippenhauses den Verband um ihr rechtes Handgelenk. Kein Schwert, kein Schwertarm, unsicher zu Fuß. Ausgeliefert, gleichzeitig eingesperrt. Und gebunden an ein Recht, dem sie sich schon einmal entzogen hatte.

Was auch immer verhandelt worden war mit der blonden Kröte, ob der Fürst nun an der Vergiftung sterben würde oder nicht, sie war gezwungen, ihn von seinem erhaltenen Recht zu berichten.

Das Haus fanden ihre Füße am nächsten Abend wie von selbst, sie schob sich an Reowin, Elmion und Lysawyn wortlos vorbei, ging die Straße hinunter, in den hinteren Teil des Viertels, sah erst wieder vom Boden auf als sie die Fußmatte zu ihren Füßen sah.
Lange musste sie nicht nachdenken, betete innerlich, die Türe sei nicht abeschlossen. Den Schlüssel trug sie bei sich, doch war nicht der Tag, ihn einzusetzen.
Nicht hier, nicht jetzt. Nicht heute.
Es war Lynne, die ihr die Tür öffnete und sie einließ. Knappe Dialoge, ein Blick auf den Fürsten verriet ihr, er würde nicht selbst im Stande sein, zu handeln wie es das Recht erforderte. Ein Recht, das sie erklären musste. Auch wenn dies das Breeland war, auch wenn Lynne sagte, ein Clanrecht würde hier nicht gelten, als Elya den Dolch gezogen hatte, es war Blutrecht. Sie war daran gebunden, ob sie wollte oder nicht.

„Was er gerettet gehört ihm auf Lebenszeit. Eigentum das Schande bereitet, hat sein Recht verwirkt. Es liegt an Euch als Zeugen, die Hand in seinem Namen zu führen und was sein ist als solches zu entfernen um die Schande zu entfernen.“
Elya erläuterte es in nüchternem Tonfall, klang beinahe gleichgültig als sie sprach. Oft hatte sie es gehört, oft hatte sie gesehen wie von dem Recht Gebrauch gemacht worden war. Sie verkrampfte sich langsam, nicht wagend auf irgendetwas zu hoffen. Es war sein gutes Recht, seinen Tribut einzufordern, ihr Blut auf die Klinge zu bringen, ihr das Leben zu nehmen, das er bereits besaß. Sie wusste nicht, was es war, gebrochener Stolz, Angst – oder schlicht Mut, der sie zu ihm getragen hatte. Laiwyn schrie ihr entgegen zu fliehen, und doch, doch blieb sie stehen, verharrte. Langsam, kämpfend gegen ihren eigenen Willen, hob sie das Kinn, richtete den Blick an die Decke des Hauses und durch diese hindurch, bot Lynne ihre Kehle dar, wartete stumm.

Tod oder Leben – sie atmete nicht einmal mehr. Hörte nicht, wie der Fürst Lynne zu sich herab rief, hörte die Worte des Fürsten nicht. Hörte den Richter nicht, wie er den Zeugen bat, zu handeln. Elya verkrampfte sich weiter, erwartete jeden Augenblick das Gefühl kalten Stahls am Hals, unter der Haut, im Fleisch.
Es war das erste mal seit langer, langer Zeit, dass Laiwyn schwieg. Auch sie wusste von dem Recht, auch sie war an selbiges gebunden. Demut war es, die Elya zum Bleiben zwang, Stolz war es, der Laiwyn trieb, zu verharren.

Lynne hielt noch immer die Klinge in der Hand, richtete das Wort wieder an Elya. Sie hörte es nicht, verstand nicht, durfte nicht zuhören. Worte waren nicht, was zählten, es war die nächste Tat, das nächste Handeln – für das es genau zwei Möglichkeiten gab.
Lynne schluckte leise, hob die Hand mit der Klinge leicht.
Das nächste, das Elya hörte, war das metallene Klirren von Stahl auf Stein.
Die Klinge war gefallen.

Elya atmete tief aus, ebenso tief wieder ein, senkte das Kinn langsam wieder. Sie begegnete Lynnes Blick einen Herzschlag lang, sah dann zum Fürsten. Sie blinzelte einmal.
„Freiheit… Immertreu… Mit Stolz… Und Wert…“ Leises Gemurmel. Sie verstand.
Wie gerne hätte sie gefragt, wie es ihm ging, wie gerne hätte sie geholfen, ein Gegengift zu finden. Doch in der Position, in der sie zu ihm gekommen war, hatte sie nicht das Recht, seine Schwäche anzusprechen, hatte weder Recht noch Ambition, ihn zu entehren. Reumütig geduckt war sie gekommen – und ebenso würde sie das Haus wieder verlassen.
Sie tat nichts, sprach nicht, nickte nicht, blinzelte ein weiteres Mal. Dann wandte sie sich ab und verließ leisen Schrittes den Raum, blieb noch einmal im Türrahmen stehen, Lynne und Alejandro den Rücken zugewandt.
„Er hat drei Tage Zeit, für sich selbst zu sprechen und die Entscheidung zu ändern.“

Das Klacken des Türschlosses hinter ihr durchbrach die regnerische Stille. Elya sah hinauf, schloss für einige Herzschläge die Augen, verharrte an Ort und Stelle, die Tür, das Haus, den Tod im Rücken.
Sie atmete mehrere Male tief durch, ehe sie sich schwerfällig in Bewegung setzte.

Und der Himmel weinte,
weinte um einen Mann, der es schaffte, Leben zu geben wo kaum welches war, der Freiheit gab wo Mauern waren.
Um einen Menschen, der es schaffte, einen Schlüssel zu verloren geglaubtem Mut zu geben – einem Teil ihrer selbst.

  1. Lynne sagt:

    ooc: *schluckt* Das ist schön geschrieben, Ely. Da war es wohl wichtig. Auch wenn „Lynne“ wieder nichts anderes tun konnte – als blind vertrauen. Und beten, dass es schon das Richtige ist, was sie tut. Arme „Elyawyn“…

  2. Elyawyn sagt:

    Eigentlich arme Lynne, ich wollt sie echt nicht so dermaßen überfahren… nur leider no Chance IC das ausführlich zu erkären ^^° Entschuldige – aber ist gut ausgegangen, danke! 🙂 *flauscht beide mal*

  3. Lynne sagt:

    ooc: Oh, das tut „Lynne“ ab und an mal ganz gut eigentlich. Sie muss lernen zu vertrauen. Ist nur nicht so leicht, sie dann so ruppelig zu spielen, dass sie holpert, aber eigentlich nur beherrscht und sachlich sein will…

  4. Alejandro Salas sagt:

    Hab’s ja gestern schon gesagt – es ging wörtlich um Leben und Tod, um das absolute Seelenheil einer Person. Paßt also, hoffe ich. *Lynne in den Arm nehm* Da mußten sie gestern beide mutig sein, die Lynne und die andere Lynne. 🙂

  5. Alrich sagt:

    Oh, Lynne ist ja wirklich geprüft worden in letzter Zeit.. und besteht 🙂

  6. Reowin sagt:

    Wohoo ich wurde zittiert.. ja der Rest.. war ähm.. naja… ich muss weg. *weglauf*

  7. Elyawyn sagt:

    Du nimmst mir das mit dem Idiot nicht persönlich, ja? *anstarr*

  8. Liniath sagt:

    ja seeeeehr geil geschrieben elya

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