Ungewohnt

Immerschatten
27. Juni 2008 • Kommentare: 6

„Zeigt ihr, daß es andere Gründe gibt euch zu trauen, als mein schäbiges Wort.“

Egal wie lange sie über die Worte des Fürsten nachdachte, Elya kam immer wieder zum selben Schluss. Es gab keine Gründe, ihr zu trauen.
Keinen einzigen.
„… und noch etwas … dieser Dorn hat keine Ahnung, wie man Bäume fällt.“

Die Ohrfeige hatte gesessen, ob verdient oder nicht. Angreifen, sich wehren, hatte sie nicht gewagt. Er hatte genug geblutet. Vielleicht, ja vielleicht sogar umsonst. Stumm hatte sie dagestanden, seine Frage nicht beantwortet, obwohl sie die Antwort gut kannte.

„Oh, das müsst Ihr mir nicht sagen! Hast du gehört, dass Lutz gestern von einem Wolf angegriffen wurde?“

Auf die Zunge gebissen, um nicht zu toben. Die Fäuste geballt um nicht zu handeln. Das war ihre Antwort gewesen. Die Worte, die sich in ihren Kopf bildeten, zunächst leise flüsternd, dann tosend laut – heruntergeschluckt. Unwichtig. Brannten noch jetzt, den Tag später, heiß in ihrem Inneren. Elya kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und versuchte, ihre Gedanken loszuwerden. Ein erfolgloses Unterfangen.

„Was du nicht sagst!“

„…du hast mir gefehlt.“ Najisa hatte versucht, von ihren Worten abzulenken, hastig einen Schluck aus ihrem Krug getrunken.
„Hast du… denn was spannendes erlebt?“ Elya öffnete die Augen wieder, sah nach unten, an ihren Stiefeln vorbei auf das Stroh der Stallungen, auf denen sie saß, den Schluchtenflechter im Rücken. Spannend. Ein seltsames Wort mit vielen Bedeutungen. Esteldín hinter sich zu lassen, sich freiwillig in das Jagdgebiet im Osten zu begeben. Schritt um Schritt hatte es sie nach Osten gezogen, hin zu den Bergen, hin zum Pfad der hinauf führt. Schritt um Schritt war es gefährlich geworden, doch hatte sie es nicht aufgehalten.
„Warum seid ihr gegangen?“ Die Antwort darauf hatte sie ihm nicht geben können, nicht geben wollen. Warum sie dort geblieben war, nachdem… nachdem sie gefunden worden war, ihre Klingen Blut geschmeckt hatten und ein weiterer Jäger sein Leben gelassen hatte – Es wurde ihr bewusst.
Sie hatte gesucht. Nach einer Antwort auf ihre Fragen, nach einem Platz, wo sie hingehört, nach Dingen und Erinnerungen, die sich selbst versagt hatte vor langer Zeit. Gesucht nach einer Toten, die fortgegangen war ohne die Möglichkeit zu lassen, ‚Auf Wiedersehen‘ zu sagen.
Das Atmen fiel schwerer.

„Oh ja! Auf freiem Feld war es. Er stürzte sich einfach auf ihn und riss ihm ein Stück aus dem Bein heraus!“

Die Gedanken flogen zu den wenigen Stunden zuvor, ein Versuch sich abzulenken. Den Kampf hatte sie klar verloren – jedoch zum ersten mal mehr als die vom Gegner ausgehende Gefahr gelernt. Anders als das Training mit Antain, die erlogene Demonstration Cardaans – Zeit hatte er ihr gelassen nach jedem Treffer, statt sofort nachzusetzen. Ungewohnt.
Grübelnd rieb sie sich den Rücken. Der Tritt ins Kreuz hatte gesessen, hätte jedoch weit schlimmer kommen können. Lebendig.
Das war es, was sie sich fühlte, wenn auch nur leicht. Wie eine Welle, die man sieht, jedoch aus weiter Entfernung noch nicht hören kann, wie Wolken die langsam den Blick auf die Sonne wieder freigaben, das Warten auf den ersten Strahl der durch die Wolkendecke bricht. So fühlte es sich an. Nicht greifbar. Noch nicht.
Das nächste Zusammentreffen würde kommen, der nächste Kampf. Ein knappes Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen. Immerhin wusste sie nach dem ersten, wie schnell er war. Und dass sie schneller sein konnte, wenn sie wollte.

„Was wird Dorn dagegen tun? Diese Wölfe und Spinnen lauern an allen Seiten des Holzfäller-Lagers.“

Elya hob das Kinn, sah geradeaus auf den kleinen Platz in der Mitte von Schlucht. Wie immer reges Treiben, trotz der späten Abendstunde. Die Händler säuberten ihre Auslagen, prüften die Waren, die Wachen gingen leise scheppernd die Straßen auf und ab, Reisende aus der Stadt kamen und gingen. Die meisten waren einfache Bauern oder Händler.

„Oh, diese Spinnen erschrecken mich mit ihren großen, haarigen Beinen fast zu Tode.“
„Ihre Beine sind fast so behaart wie die vom alten Lutz, aber ohne den Wolfsbiss!“

„Ich bitte euch mit zurückzukommen. Ich biete es euch an. Wie jedem anderen auch. Genauso, wie ich euch die Freiheit lasse, zu gehen wann immer ihr wollt. Und in der Zeit, der ihr da seid, bin ich für euch da. Auch das ist ein _Angebot_, kein Zwang.“
. . .
„Ich.. geh dann ins Bett. Wenn.. du willst.. ich lass die Tür auf.“

Ein angenommenes Angebot. Die zweite Nacht überhaupt in einem gemütlichen Bett. Ungewohnt. Ein Griff in einen wohlverschnürten Beutel an ihrem Gürtel, kurze Zeit später der süße Geschmack von Honig auf der Zunge. Ungewohnt.

Wie sagte man? „Man kann sich an alles gewöhnen.“
Zumindest ein Stück weit.

„… und noch etwas … dieser Dorn hat keine Ahnung, wie man Bäume fällt.“

  1. Liniath sagt:

    woa. . . *gänsehaut* o.o . . seid langen wieder ein genial geschriebener blog! . *noch mal les* Ich mag Elya ungemein 😀 sie ist einer der chars bei dem es einfach nicht langweilig werden kann!

  2. Alejandro Salas sagt:

    Wie uns Lynne lehrte kann Honig nämlich die Welt retten, jawohl!

  3. Elyawyn sagt:

    Jetzt ist’s vollständig. Den Schluss vergessen gehabt. >_<
    Dankö für die Comments *froi*

  4. Ardeyn sagt:

    *rofl* Gisi wird sich freuen! 😀

  5. Lynne sagt:

    ooc: Gefällt mir sehr gut, Ely. Wirklich gut geschrieben. Wie immer ein Genuss.

  6. Elyawyn sagt:

    Danke schön ^.^
    Ich fand das Gebrüll von den beiden so passend, weil an das.. muss man sich echt auch erstmal gewöhnen, zumindest als Spielerin. *die beiden würgen könnte für den chatspam*

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