Was wir hinterlassen

Mynerya Kaldenberg
3. Juni 2009 • Kommentare: 6

Behutsam stellte Mynerya das kleine Tintenfäßchen auf den Tisch, legte eine Feder daneben und setzte sich auf ihren roten Stuhl.Bedächtig legte sie die Hände mit den Handballen auf den Rand des Tisches, seufzte leise und rückte ein Stück näher heran. Als das Holz des Stuhls über die Bodendielen schrammte gab es einen nervtötenden Laut von sich. Ihren Sitz prüfend legte Mynerya die Ellenbogen an den Rand des Tisches, legte die Arme dann nieder und betrachtete das nun eingerahmte Stück Pergament, dass sie vorher auf den Tisch gelegt hatte. Gedankenverloren starrte sie es an. Wie sollte sie damit beginnen, dass nieder zu schreiben was in ihr vor ging. War es überhaupt eine gute Idee das zu tun.

Grade als ihre Gedanken anfingen tiefer zu gehen, dass hervorzuholen was sie beschäftigte merkte sie, dass das Pergament ein Stücker näher am linken Arm lag, als am rechten. Einen missfallenden Laut von sich gebend rückte sie den Stuhl wieder ein Stück zurecht. Nun lag es mittig. Wieder betrachtete sie die leere Seite. Im Schein der Kerzen wirkte sie gelblich, zerknittert und bei weitem nicht mehr so als könnte sie das was auf ihr niedergeschrieben wird, über Jahrhunderte hinweg erhalten. Der letzte Teil ihres Gedanken faszinierte sie. Wenn sie schon längst nicht mehr war, wenn alle die sie kannte schon längst nicht mehr sein würde, gäbe es vielleicht immer doch dieses Papier und würde ihre Geschichte erzählen. Ihre Gedanken. Ihr Leben. Langsam dämmerte Mynerya, wieso viele große Herrscher und Personen es als so wichtig erachteten, dass man Bücher über sie schrieb. Das deren Feinde versuchten jenes Wissen zu vernichten. Alles was einen Menschen im Leben ausmachte wurde so erhalten. Spätere Generationen konnten so auf Wissen aus alten Tagen zurückgreifen.Sie seufzte laut und griff mit der Rechten nach einer Schreibfeder. Kaum hatte ihre große Hand das Schreibinstrument umschlossen gab es einen feuchten Knacklaut von sich. Resigniert sah Mynerya die zerbrochene Feder an.

„Das ist kein Schmiedehammer.“ sagte sie leise zu sich selbst.
Sie warf die alte Feder achtlos weg, griff vorsichtig nach der nächsten und nahm sie behutsam zwischen die Finger. Ganz langsam führte sie die Feder zum Tintenfässchen, tauchte die Spitze ein und schrieb.
Liebes Tagebuch…
 Mynerya wölbte die rechte Augenbraue, lass die beiden Worte und strich sie schnell durch. Das war bei weitem nicht der Anfang den sie sich erdacht hatte. Zugegeben, sie hatte sich gar keinen ausgedacht, aber so sollte es nicht beginnen. Es klang wie irgendwie kindlich und naiv. Sie setzte erneut an.
Sehr geehrtes Tage…
 Sie strich die Worte durch, bevor sie alle ausgeschrieben hatte. Es klang dumm ein Tagebuch zu Ehren. Außerdem wollte sie kein richtiges Tagebuch schreiben, mehr eine Chronik. Oder ein Buch über sich selbst. Nur wie fing man so etwas an.
Die Chroniken von… Wieder einmal strich sie das Geschrieben durch. Es klang hochtrabend, gelehrt und so als würde eine fremde Person über sie schreiben. Eine Person die ihr Leben damit zubrachte Wissen zu studieren und jenes, das wichtig für die Welt war zu bewahren. So wie Najisa. Aber Mynerya war keine solche Person. Über Ellena würde man solch eine Chronik schreiben. Den verstorbenen Fürsten. Menschen die wichtig waren. Vielleicht sollte sie es formeller, neutraler, beginnen.
Eintrag Eins Mynerya zog eine Schnutte. Das war zu neutral und formal. Es klang schon fast so, als würde ein Händler Buch über etwas führen.
Seufzend legte sie die Feder hin, drehte sich ein wenig zur Seite und schaute aus dem Fenster. Auf der Oberfläche des kleinen Sees, der hinter ihrem Haus lag, konnte man die Reflektionen der Sterne sehen, die wie kleine Diamanten auf dem schwarzen Samttuch der Nacht lagen. Einige Zeit betrachtete sie die Sterne. Überlegte was sie nun schreiben sollte. Plötzlich weiteten sich ihre Augen, schnell griff sie zur Feder um etwas niederzuschreiben.
Sternzeit …
 Irritiert blickte sie auf das Pergament. Es war abstrakt und völlig ungeeignet. Sie konnte nicht einfach eine eigne Zeit erfinden. Langsam hatte sie das Gefühl das es viel zu spät wurde und ihre Gedanken ihr einen üblen Streich spielten.„Wie soll ich es nur anfangen?“ fragte sie sich.
Nachdenklich zog sie die Augenbrauen zusammen. Wiederholte diese Frage im Stillen immer und immer wieder um dann erneut mit der Feder anzusetzen.Wie soll ich es nur anfangen… Mynerya lächelte …am besten so, wie ich es grade erdenke. Es war als wäre ein Damm gebrochen. Ohne Unterbrechung schrieb sie Wort um Wort. Anfangs kam es ihr gar nicht so viel vor, doch mit jedem Satz entstanden zwei neue in ihrem Kopf, die niedergeschrieben werden wollten. All die Dinge, die in den letzten Tagen geschehen waren. Ihre Rückkehr, ihr Schreiben an Ellena, das erste Zusammentreffen. Der neue Fürst und seine Gemahlin. Alles schrieb sie nieder. Zumindest das was ihr nicht verboten war verfasst zu werden. Jede Andeutung, egal wie zart sie sein mochte vermied sie bezüglich dessen. Aber alles andere bannte sie in Worte. Worte über ihre Pflicht und ihre Gefühle, als sie vor Ellena stand wie ein Eidbrecherin. Die tiefe Schuld die sie niemals begleichen konnte. Die Ehrfurcht vor dem neuen Fürsten.
Ihr Handgelenkt schmerzte, aber sie hörte erst auf zu schreiben als sie meinte es wäre genug. Draußen dämmerte es schon und vor ihr lagen fünf Seiten, beidseitig beschrieben. Lächelnd nahm sie die Seiten, stand auf um ans Fenster zu treten und alles nochmal zu lesen. Minuten vergingen. Dann warf sie die Blätter in den Kamin und aus Worten wurde Asche.Wie vermessen war sie gewesen, so etwas zu schreiben. Eine Schrift für die späteren Generationen, eine Aufzeichnung ihres Lebens. Ein Sammelsurium von Gedanken, Ideen und Gefühlen. Sicherlich hatte so etwas seine Existenzberechtigung, wenn man ein König war. Ein Fürst. Ein Herzog. Ein Kriegsheld. Ein Gelehrter. Ein Künstler. Ein großer Händler. Ein Wissenschaftler. Ein Chronist. Ein Visionär. Ein Mensch der etwas bedeutete. Bewegte. Doch sie war nur eine Magd.   

  1. Saladoc sagt:

    Herrlich *g* Sternzeit.
    Ich lag auf dem Boden.

  2. Cinlir Winthallan sagt:

    Ich kann berichten – wir hier auch. 😀 Sehr gut!

    … Auch, wenn sie mir schon wieder leid tut. o.o

  3. Giselher Aldorn sagt:

    Ich seh förmlich den Stapel Federn nebem dem Tisch 😀

  4. Iyrawen sagt:

    Und ich die ganze Szene vor mir – klasse geschrieben, Myn! Und natürlich: Willkommen zurück! 🙂

  5. Najisa sagt:

    *flauscht Myn* 🙂

  6. Sybell sagt:

    Sternzeit hat mir auch grad einen lauten Lacher beschert! Schönes Post 🙂

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