How beggarly appear arguments before a defiant deed!

– Walt Whitman

Der Schmerz an Cinlirs Hals war stechend, betäubend. In seine Nase drang der Geruch von Fäulnis, von Staub, von Moder. Sein Geist sagte ihm, es wäre der richtige Moment einfach zu gehen. Sich vom Körper zu verabschieden. Sich einfach fallen zu lassen und auf das Ende zu warten. Es wäre gut. Es wäre verdient. Es wäre besser so.

Doch sein Herz zeigte einen anderen Weg. Er war ein Winthallan! Aufgeben? Nicht in diesem Leben. Seine Finger tasteten nach der Fackel. Er kam wieder auf die Beine, schlug mit der Fackel gegen seinen Widersacher. Doch die Fackel fiel und wieder spürte er diesen Schmerz an seinem Hals, spürte fremde Zähne durch sein Fleisch schneiden.

Er fiel, spürte Stein unter seinem Rücken. Spürte ein Fremdes Gewicht auf sich. Und wieder diese alten, fauligen Zähne. Dann ein Schrei! Diese Stimme… Er kannte sie. Aber hier unten? Wie sollte der Elb es hierher geschafft haben? Neimand war ihm gefolgt. Jedenfalls hatte er das geglaubt. Dennoch, ein Pfeil schlug neben Cinlir auf dem Boden ein. Kaum mehr als ein Augenblinzeln später hörte er einen zweiten durch die Luft surren. Und dieser traf, den zweiten Gegner. Cinlir selbst hatte den zweiten fast verdrängt.

Doch… Das Wesen zeigte sich von dem Pfeil unbeeindruckt. Es stürmte auf Gwaethil zu, riss ihn zu Boden. Was dann geschah konnte Cinlir nicht erkennen. Aber er hörte es. Schmatzen. Das Geräusch von brechenden Knochen. Rüstplatten die über den Boden schabten oder achtlos beiseite geworfen wurden. Das eben noch deutlich hörbare Atmen des Elben, der ihm treu in diese Untiefen nachgehastet war, wich einem Gurgeln, dann einem einzelnen Husten. Und dann kam Stille. Nur noch Schmatzen.

Irgendetwas tropfte auf sein Kinn. Sein eigenes Blut oder der Speichel des Wesens auf ihm… Er konnte es nicht sagen. Dann drang etwas scharfes, etwas krummes durch das Leder seiner Rüstung. Weiter. Er spürte die Klaue auf der Haut seines Bauchs. Mehr schneidender Schmerz! Er wollte schreien, verbot es sich aber. Die weit aufgerissenen Augen sahen nur noch schwarz. Aber nein, schreien würde er nicht. Diesen einen Triumph würde er niemanden gönnen.

Eine Schwere legte sich auf seinen Körper, die der Herzog keiner bestimmten Tatsache zuordnen konnte. Aus irgendeinem Grund wurde ihm kalt. Er nahm an, die Kälte des Steins unter ihm wurde ihm langsam bewusst. In seinen Ohren begann es zu klingen. Der Staub in der Luft, dieser musste es sein, machte es ihm schwer und schwerer zu atmen. Schlimmer war, immer wenn er Luft holte stach der Schmerz in seinem Bauch nur um so mehr. Überrascht stellte er fest, dass er seinen Brustkorb bald schon nicht mehr dazu überreden konnte gefälligst seine Arbeit zu tun. Der Gedanke, wie wenig ihn das beunruhigte hatte etwas sehr beruhigendes.

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Herr?“
„Ihr hättet ihnen geholfen. Meinen Sohn. Ihr hättet nicht zugelassen, dass er ähnliche Torheiten begeht. Hättet dafür gesorgt, dass er gesund und wohlauf ist. Hättet ihm, wie mir damals, geholfen die Blutlinie fortzusetzen. Ich vertraue auf euer Geschick.“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Ratsherr?“
„Was schon. Die Stadt hätte keinen großen Verlust erlitten. Im Gegenteil. Viel Ärger wäre gerade euch erspart geblieben. Ihr hättet einen Nachfolger gefunden. Farnes vielleicht, Mordor nochmal. Meine Hilfe wird geduldet – bestenfalls. Wahrscheinlich hätte man diesen Geistern zu Ehren eine Statue errichtet, statt des Keilerbrunnens.“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Fürst?“
„Schlecht geführt habe ich euch. Und nicht auf euch gehört. Wie ein Kind, das ich immer für euch sein muss, das ich immer für euch bleiben werde. Obwohl ihr das wisst folgt ihr mir. Niemals werde ich hoffen können euch zu verstehen, alter Mann. Meinen Dank dafür werdet ihr nie kennen.“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Bruder?“
„Du wärst meinen Brüdern gefolgt, so wie du mir folgst. Hättest sie auf deine Art gelenkt, hättest somit die Geschicke dieses Hauses bestimmt. Es wäre gut gewesen. Ich weiß, dass du das kannst. Du hättest mich oft dafür verflucht, auch das weiß ich. Aber du hättest es gekonnt. Am Ende wäre ich stolz auf dich gewesen…“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Cinlir?“
„Meinen Namen und Euer Blut habe ich beschämt. Es gibt nichts, was dies ungeschehen machen könnte. Ich habe dieser Familie keinen Dienst erwiesen. Mein Name wird nicht an den Euren heranreichen. Nie war es mein Ziel Euch zu enttäuschen.“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Vater?“
„Auch wenn ich weg bin bist du stets in guten Händen. Man wird auf dich achten, hier, unter den deinen. Man wird dir helfen, dich erziehen. Man wird aus dir einen großen Mann machen. Größer als dein Vater. Und mit Glück – weniger dumm.“

„Was wäre gewesen, wäre es so gewesen, Geliebter?“
„Es tut mir leid. Ich war töricht.“
Das Lächeln konnte er nur erahnen.
„Ich liebe dich.“

Es war weder Krankheit noch Wundfieber, die Cinlir Winthallan in dieser Nacht den Schweiß auf die Stirn trieben. Es war auch nicht die Angst vor den Toten, die er in dieser Nacht mit seinen eigenen Augen gesehen hatte. Es war das Bewusstsein darum jeden, jeden in seiner Verantwortung enttäuscht zu haben. Die Gewissheit es niemals eingestehen zu können, weil es Position und Erziehung nicht in diesem Leben zulassen würden.

Geht, Lebender! Und kehrt nie wieder hierher zurück… Cinlir war sich sicher, dass es sehr wenige Menschen gab, die entkamen und solche Worte mit sich trugen. Doch auch dieser kleine Triumph, ein Triumph der ihn sonst sicherlich mit Stolz erfüllt hätte, gab ihm nicht die Ruhe für den erholsamen Schlaf, den er nötig hatte.

Die Zeit der Träume war angebrochen. Bald schon würde er für ihr Ende beten.

  1. Gwaethil Eglainion sagt:

    Schweig, Tempelglocke.
    Dein Klang wird ewig weiterhallen.
    In Blumen.
    Ganz laut.

    -Basho-

  2. Giselher sagt:

    Oha, da war ja scheinbar wieder einiges los. Schön, das mit den Perpektiven.

  3. Cinlir Winthallan sagt:

    Tja. Wer halt nicht hören will, der muss wohl fühlen. 😉

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