Langsam, fast genießerisch nahmen die Füße den Weg durch das feuchte Gras. Weiß auf grünem Grund.
Die Sonne hatte sich bereits hinter den Horizont gesenkt, der Himmel noch nicht in Gänze verdunkelt. Die blaue Stunde. Die Stunde, die ihr immer am liebsten gewesen war. Die Stunde des Abschieds und des Neubeginns, das Flüstern der vielen Versprechungen der Nacht. Meist die Stunde, in der sie dieses besondere Licht nutzte und sie vor ihrem Spiegel verbrachte, um dann gemeinsam mit den Sternen in der Nacht zu flüstern und das kühle Leuchten des Mondes mit sich zu tragen.
Ihre Augen schlossen sich in der Stille. Eine wahrhaftige Stille. Man hörte Pferde leise wiehern, in der Ferne einige Stimmen in einer fast schon vergessenen Sprache sprechen. Keine Bündnisse wurden geschmiedet, keine Masken mussten getragen werden, keine Tänze auf dem Seil über dem Nebel ausgeführt werden. Stille. Stille und Frieden. Während ihr Blick über die weiten tiefgrünen Wiesen streifte, welche in dem Herannahen der Nacht so wie alles eine graue Färbung anzunehmen begannen, strich sie ihr schlichtes braunes Kleid glatt. Das Kleid einer einfachen Bauersfrau. Sauber jedoch an vielen Stellen geflickt. Den breiten Kragen aus dem Fell der örtlichen Wölfe zog sie näher um sich, um sich vor der Kühle der beginnenden Nacht zu schützen. Es roch nach Gras, Pferden, dem alten Fell des Kragens und den Feuern der nahen Hütten mit ihren Strohdächern, welche in der Sonne golden strahlten und von denen sich die geschnitzten Pferdeköpfe stolz an den Giebeln abhoben.
Ihre mittlerweilen kalten Füße nahmen den Weg zu einer der Hütten. Sie war schlicht aber in ihr brannte ein warmes Feuer vor welches sie sich auch direkt stellte, nachdem sie am Ziel war.
„Möchtest Du auch ein Glas Wein?“ fragte sie die männliche Stimme hinter ihr und schenkte als sie es bejahte in einen der einfachen Holzbecher den trockenen weißen Wein. Wein aus Linhir aus dem Jahr vor dem Krieg. Ein gutes Jahr war es gewesen und der Wein von jenem kleinen Rebhügel aus Linhir einer der besten, den man in diesen Tagen erwerben konnte. Ein Mitbringsel, eine Erinnerung, ein Mahnmal.
Der Geschmack der alten Tage legte sich auf ihre Zunge als sie einen Schluck nahm und sie musste lächeln. Frieden. Es würde noch Wochen dauern bis hier in die Einsamkeit der Pferdeherren – ihres Volkes – die Nachrichten gelangten über die Schlachten zwischen einem Fürsten und eines Grafen Gondors – wenn sie überhaupt den Weg hierhin fanden. Sie würde sicher nicht nachfragen. Es war einerlei. Es war Vergangenheit und sie war müde. Sollten sie sich doch die Köpfe einschlagen über ihre Idee und das Blut aus ihren Adern die frische Erde befeuchten lassen. Sie war es leid zu spielen, war es leid zu tanzen, war es leid an einer Leine gehalten zu werden und dirigiert zu werden während sie dirigiert.
Erneut befeuchtete ein Schluck des Weines ihre Kehle und sie lächelt zu dem Mann ihr gegenüber. Die Haare so weizenblond und seidig wie die ihren, die Augen so blau und kühl wie die ihren, die Gesten, Mimiken, Wortwahl alles ein Spiegelbild ihrer selbst.
Man würden sich fragen wo sie waren. Vor einigen Wochen waren sie losgereist in der Schwärze der Nacht. Versprechungen, Bündnisse verklingen – nicht eingehalten, gebrochen. Eide werden zu einer leeren Worthülse bevor sie gleich eines eiserenen Berges einen erdrückten. Verrat.
Nun wusste sie wer sie war. Nun wusste sie wer er war. Nun wusste sie wer sie waren. Und sie hatten sich entschieden jetzt endlich jene zu sein welche in der Vergessenheit so viele Jahrzehnte schlummerten. Gondor war weit weg. Der Hof, der Seiltanz, der Nebel waren weit fort. Verbrannt waren all die alten Briefe, verkauft waren all die Kleider aus feinem blauen Stoff und der teure Schmuck. Begraben war ihr Name, den man ihr gegeben hatte.
„Gute Nacht, Bruder.“
Irgendwo in seinem Grab dreht sich Cinlir bestimmt gerade um! 😉
Probably the smartest choice. Aber das sind wir ja von Hylea gewöhnt. 😉