Maßnahmen

Heridan Flusswieser
29. Dezember 2009 • Kommentare: 2

„Herr, glaubt ihr, es gibt Hoffnung?“ Der Soldat hustete, versuchte sich aufzurichten. Doch die Hand des Medicus, die ihn mit beherztem Druck zurück auf das nur aus ein paar Decken bestehende Feldbett presste, machte ihm unmissverständlich klar, dass dies nicht im Sinne der Behandlung war. Überhaupt war diese Hand das Zentrum der Aufmerksamkeit des Soldaten. Nicht nur, weil sie ihn zu Boden gedrückt hielt, auch, weil sie die einzige des Mannes in der grünen Robe, die von rötlichen Sprenklern getrockneten Bluts besudelt war, zu sein schien.

„Ich glaube nicht. An gar nichts. Es mag sein, dass es für euch Hoffnung gibt oder nicht, aber ich denke nicht in diesen Kategorien.“ Mit der ihm verbliebenen linken Hand setzte Heridan nun ein Skalpell an den Oberschenkel des Mannes, in dem der abgebrochene Rest eines Orkpfeils steckte. Er kniete mit einem Gutteil seines Gewichts auf dem Bein des Mannes, um zuckenden Bewegungen vorzubeugen. So setzte er zu einem geraden Schnitt an, der es ihm ermöglichte, die Reste des Pfeils zu entfernen und die Schusswunde in Augenschein zu nehmen. „Ich sehe Fakten. Einige Orks, die in das Lager eingedrungen sind.“

Einige Tage vorher…
Die deutliche Einbeulung des Zeltes neben dem Durchgang verhieß nichts Gutes. Anfangs hatten die Wachen dazu geneigt, sich anzulehnen. Doch Heridans Gezeter und der Kommentar eines Offiziers, sie sollen sich hüten, sich den Zorn des Heilers zuzuziehen hatten das in letzter Zeit wirkungsvoll unterbunden. Noch während er sich aufrichtete, hörte Heridan irgendwo Gebrüll. Halb überrascht, halb zornig. Er umschloss die Säge, welche er verwendet hatte, um damit Material zum Schienen gebrochener Beine zurechtzusägen, fester mit seinem Griff und ging zum Eingang des Zeltes. Mit einem schnellen Schritt kam er heraus, begann, sich mit schnellen Blicken zu Orientieren.

Die Wache lag tot am Boden. Eine deutlicher Schnitt am Hals war zu sehen. Selbst in der Dunkelheit erkannte er die zerfetzten Ränder der Wunde – ein deutlicher Hinweis auf orkische Klingen. Eilig ergriff er das Schwert der Wache. Es fühlte sich ungewohnt an. Die Lautstärke im Lager nahm zu, als überall die Erkenntnis aufkam, dass etwas nicht stimmte. Heridan war es, als wäre eine der rufenden Stimmen die des Schaitan Yatas, die ihm einen Lehrsatz mitteilte, den er zuletzt vor langer Zeit in dessen Kampfschule in Bree gehört hatte. „Alle Waffen sind gleich. Es gibt einen Teil, der dafür da ist, sie festzuhalten, und es gibt einen Teil, der dafür da ist den Gegner zu treffen.“ Er verstärkte den Griff um den Teil, der dafür da war, das Schwert festzuhalten und blickte sich abermals um. So sah er den Ork früher, als dieser es sich erhofft hätte. Nunmehr entdeckt, verlegte sich dieser darauf, laut zu brüllen und mit seinem gezackten Schwert auf Heridan loszustürmen. Dieser brachte den Teil des Schwerts, der dafür da war, den Gegner zu treffen in Position.

Zeitgleich fraßen sich zwei Klingen durch Haut, Sehnen und Fleisch. Zeitgleich ertönten zwei Schmerzensschreie. Als der Leichnam des Orks zu Boden sank war Heridan kreidebleich. Er ignorierte den Teil des Schwerts, der nicht nur dafür da war, um es festzuhalten, sondern auch um es aus dem Gegner wieder herauszuziehen. Die Verwundeten im Feldlazarett blickten bereits ausnahmslos zum Eingang, begierig darauf, zu erfahren, was vorgefallen war. Sie beruhigten sich, als Heridan etwas von angreifenden Orks japste, davon dass diese überwältigt wurde und er jetzt nachsehen gehe, ob man seine Hilfe brauche. Er eilte an eines der verlassenen Feuer, in der Linken immer noch die Säge. Die Klinge war vergiftet, das spürte er an dem Brennen in der Wunde. Er würde entweder am Wundbrand sterben oder… er musste die Gelegenheit nutzen. Er spürte keinen Schmerz, noch immer in der Aufregung des vorherigen Erlebnisses. Seine rechte Hand war dennoch nicht mehr zu bewegen. Er setzte die Säge an und tat, was zu tun war. Schnürte so gut es ihm möglich war seinen Arm mit dem Gürtel ab, um danach mit der Säge den Bereich unterhalb des Ellenbogens abzutrennen. Der Schmerz kam wieder, als er die selbst zugefügte Wunde mit der überm Feuer beinahe zum glühen gebrachten Säge sauber ausbrannte. Er forderte seinen Tribut. Der Heiler wurde ohnmächtig.

„Einige Leute, die sich eine Grippe eingefangen haben. Und, was mich am ehesten zum Nachdenken bringt: Zahlenmäßig überlegene Orks, die dennoch keinen Angriff wagen. Sie fürchten uns. Sie können keinen direkten Angriff wagen. Mit Hauptmann Cardaan an unserer Spitze sind wir ihnen überlegen und das wissen sie auch.“

Heridan sprach zur Verwirrung des Soldaten in einem Ton, als würde er gerade eine Teetasse in der Hand halten und – gesetzt den Fall er besäße sie noch – in der anderen Hand ein Stück Kuchen. Dabei reinigte er gerade die Schusswunde mit einem Mittel, welches sich als brauchbar gegen üblicherweise von den Orks verwendete Gifte erwiesen hatte.

„Gut, nun den Verband anlegen“

Einer der Feldschere eilte herbei. Seit dem Einfall der Orks in das Lager blieb er ständig in Heridans Nähe, um ihm die Aufgaben abzunehmen, für die zwei Hände erforderlich sind. Als dieser den Verband schnell und präzise angelegt hatte, schenkte Heridan dem Soldaten sogar ein Lächeln

. „Ihr werdet mit dem Bein vorerst nicht in den Kampf ziehen können. Aber wenn ihr etwas nützliches tun wollt, verteilt diese Medizin unter den Leuten. Ein Schnapsbecher voll für jeden.“

Der Soldat betrachtete die Ampullen. Eine grünliche Flüssigkeit mit bitterem Geruch. Nahm sie dann entgegen um zu seinen Kameraden zu humpeln. Heridan blickte ihm einen Moment nach, als sein Assistent mit überraschtem Gesichtsausdruck wieder zu ihm trat.

„He– Herr… wir haben Medizin gegen die Grippe?“

„Natürlich nicht. Ich habe einige Wurzeln in Wasser ausgekocht, dass irgendein bitteres Zeug bei rauskommt.“

„Aber warum? Warum geben wir es ihm, wenn es nicht hilft?“

„Sie glauben. Sie hoffen. Wenn sie etwas bekommen, dass Medizin zu sein scheint können sie weiterhoffen. Wir mögen in einer schwierigen Situation sein. Aber wenn die Moral schwindet, wenn Hauptmann Cardaan die Männer nicht mehr zusammenhalten kann… dann sind wir verloren.“

„Aber wir belügen sie!“

„Und damit bringen wir ihnen den möglichen Tod. Aus meiner Sicht immer noch besser als ihnen die Wahrheit zu sagen und den sicheren Tod zu bringen.“

  1. Giselher Aldorn sagt:

    Auch eine schöne Variante. Vor allem die Erfindung Placebos 😀

  2. Cinlir Winthallan sagt:

    Placebos sind toll!

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