Beutezug

Alejandro Salas
1. Juni 2008 • Kommentare: 4

Lange hatte er gewartet, der Drache. Hatte seine Beute immer nah gewußt. Nie aber danach gegriffen. Und selbst in den seltenen Momenten, in denen er es tat, hatte sie sich ihm enzogen. Ohne Erfolg war er zurückgekehrt.

Aber nicht heute.

Er war nicht fair gewesen, hatte mit Weiß geblendet und mit anderen Dingen gelockt. Hatte ruhig gewartet und verharrt. Und dann…

Dann griffen die Klauen zu. Er packte seine Beute, zog sie mit sich zu seiner Höhle, warf sie auf das Weiß und stierte sie mit gebührender Vorfreude an. Für einen Moment hätte man glauben können, es gäbe noch ein Entrinnen, ein unerhofftes Entkommen. Nur Trug. Der Drache breitete seine weiten Schwingen aus, nahm jeden Blick auf den Himmel und begrub was längst schon sein war unter sich. Während die Köpfe sich neigten um zu inspizieren, zu riechen, zu lecken und lechzend dem harrten, was nunmehr vor ihnen lag, wischte der Schwanz des mächtigen Tieres die letzte Barriere zwischen seiner Beute und sich  aus dem Weg. Spürte das resultierende Blut.

Von oben konnte man nicht viel sehen. Nur die Köpfe, die immer wieder nach unten sausten, der peitschende Schwanz und die Flügel, welche immer wieder sacht vor sich hin schlugen. Je länger er sich mit seiner beute befaßte, desto mehr stieg das verlangen nach mehr dieser Art, desto mehr schlang er, desto weniger Zeit nahm er sich. Sein eigenes Feuer hatte ihn überrand und nun vollends unter Kontrolle. Er ließ sich auf den Wellen treiben, folgte jedem Impuls. Langsam nahmen seine Augen einen Glanz an, welcher später in Tränen über die schuppigen Wangen der Köpfe gen Boden fielen. Regentropfen waren überall auf den Schuppen, waren auf der Beute.

Bis irgendwann keine Regung mehr blieb, außer der erfüllenden Gewißheit endlich, endlich die innere Flamme des Triumphs zu spüren, zu spüren, wie der ganze Drachenleib darunter erbebte und am Ende in Demot vor der Größe dieser Emotion zusammenbrach.

Es gab für Drachen nur ein angemessenes Opfer. Und nichts war für einen Drachen wie diesen verlockender gewesen. Ihr Blut würde ihn für immer binden, von nun an.

Als er die Augen öffnete war alles um ihn herum weiß. Und rot.

  1. Elyawyn sagt:

    Sehr schön geschrieben 😉

  2. Lynne sagt:

    „(…) Ein Drache scheint es von Gestalt,
    Mit weitem Krokodilsrachen,
    Und alles blickt verwundert bald
    Den Ritter an und bald den Drachen.

    Doch strenge blickt der Fürst ihn an
    Und spricht: „Du hast als Held getan:
    Der Mut ist’s, der den Ritter ehret,
    Du hast den kühnen Geist bewähret…“

    aus „Der Kampf mit dem Drachen“ von Friedrich Schiller

  3. Lynne sagt:

    ooc: Hatte ich auch, Jule. *nickt* Das ist so ziemlich eine der besten textlichen Verbildlichungen, die ich je gelesen habe. Danke, Solan. *verneig*

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