Julfest. Die einzige Zeit im Jahr, in der die Leute spendabel sind. „Fia!“, hallte Tarikhs Stimme durch das Zimmer. Verschlafen rieb sich die Neunjährige die Augen. Ari und Finh waren wohl schon unterwegs. „Jetzt mach schon du kleine Trantüte!“ Fianah blinzelte und hustete leise. Sie sah zu dem Spalt unter der Tür. Ein Fenster hatten sie nicht. „Aber…es ist doch noch dunkel draußen.“ Tarikh rollte mit den Augen und zog ihr die Decke weg. Fröstelnd rieb sie sich die spärlich bekleideten Arme und sah ihn missmutig an. „Ist die beste Gelegenheit vielleicht noch ein frisches Brot abzugreifen. Also schwing deinen Hintern aus dem Bett und zieh dich an.“
Er hielt sie an der Hand und zog sie hinter sich her. „Wenn du noch langsamer läufst, könnten wir auch gleich stehen bleiben.“ Sie reagierte gar nicht mehr auf ihn, sondern sah sich mit großen Augen um. Sie mochte die Zeit des Julfestes. In einigen Fenstern waren Kerzen hübsch zurecht drappiert, manche waren geschmückt mit Tannenzweigen, welche wiederum behangen waren mit Zuckerstangen oder Plätzchen. Sie stellte sich dann immer vor wie es wohl wäre in einem solchen Haus zu wohnen. Eltern zu haben, die sie an einem kalten Wintermorgen mit einer heißen Tasse Milch wecken würden. Sie würden ihr ein Lächeln schenken und sie ihre kleine Prinzessin nennen. Ihre Mutter würde sie liebevoll in die Arme schließen und über ihren Kopf streicheln, weil sie das jeden Morgen so machte um ihr zu zeigen wie lieb sie sie hatte. Sie würde ihr hübsche warme Sachen heraus legen und ihre Haare bürsten, wenn sie erst aufgestanden war. Sie würde…
Fianah strauchelte und die bittere Realität holte sie wieder ein, als sie sich mit dem Gesicht im Schnee wiederfand. Tarikh seufzte und bückte sich zu ihr hinunter, um ihr auf die Beine zu helfen. „Du hast wieder vor dich hingeträumt hm? Du solltest das lassen. Träume bringen dir nichts Fia. Damit fällst du nur immer auf die Nase. Für Leute wie uns wird sich nie was ändern.“ Sie schniefte leise und wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase herum. Dieses Jahr hatte sie keine Handschuhe. Die letzten die sie getragen hatte, waren zu klein geworden. Egal wie sehr sie versucht hatte ihre Hände hinein zu quetschen…es ging einfach nicht mehr. „Aber…soll das heißen du hast gar keine Träume mehr?“ Der Dreizehnjährige sah sie einen kurzen Moment lang an, ehe er den Kopf schüttelte. „Wenn ich so rumträumen würde wie du, wären wir vermutlich alle schon verhungert. Und jetzt komm weiter. Wir müssen uns bewegen, wenn wir nicht erfrieren wollen.“ Sie nickte schweigend und folgte ihm zum Keilerbrunnen.
Man muss früh aufstehen, wenn man einen guten Platz haben will. Das hatte sie über die Jahre gelernt. Aber es wurde allmählich schwieriger. Sie wurden alle älter und die Leute gaben kleinen Kindern bereitwilliger etwas als jungen Erwachsenen. „Du bleibst hier. Ich bin nicht weit weg und passe auf das dich keiner der anderen ausraubt.“ Sie nickte. Schon jetzt war ihr furchtbar kalt, aber es standen noch einige Stunden an, in denen sie die Hände aufhalten musste und die vorbei kommenden Leute anbetteln sollte. Im ersten Jahr, in dem sie mit durfte, hatten sich die vier jeder für sich aufgeteilt. Sie dachten so würden sie vielleicht mehr zusammen bekommen. Hätten sie auch fast, wenn es nicht diesen verzweifelten Alten gegeben hätte, der Ari niederschlug und sich die erbettelten Münzen von ihr schnappte. Seitdem überließen sie das Betteln den Mädchen, während die Jungs nicht weit weg von ihnen aufpassten.
Es war ein guter Tag. Viele Leute kamen vorbei und einige hatten Mitleid. Manche von ihnen waren richtig schick angezogen und sahen, trotz der immer beißender werdenden Kälte zufrieden aus. Das waren die Menschen zu denen Fia früher gegangen ist und sie gefragt hatte, ob sie nicht ihre Eltern sein wollten. Das war der Moment in dem sie lernte, dass der Schein manchmal trügt. Denn meistens sahen diese Leute naserümpfend auf das dreckige Kind zu ihren Füßen und gingen eiligen Schrittes weiter. So als ob nichts gewesen wäre. Irgendwann hörte sie auf zu fragen. Irgendwann fand sie sich damit ab, dass niemand sie haben wollte. Irgendwann fing sie an zu träumen. Von dem Haus mit den Tannenzweigen und der Milch.
Erst am frühen Abend kamen alle vier wieder zusammen. Dieses Julfest war ein besonderes, denn alle waren immerhin halbwegs auf den Beinen. Bisher gab es immer mindestens einen, der das Bett nicht verlassen konnte, weil er um sein Leben rang. Die Kälte und die spärliche Bekleidung, noch dazu die Behausung die zwar Schutz vor dem Wind, aber nicht vor der Feuchtigkeit bot, forderten ihren Tribut. Es gab zwar einen Heiler, der ab und zu mal in dieses Viertel kam, zusammen mit einem Jungen, dessen Lieblingsfarbe wohl grün zu sein schien. Aber selbst diese Bemühungen halfen unter den gegebenen Umständen nur wenig. Auch wenn sie dem ein oder anderen sicher das Leben retteten.
„Geht das nicht ein wenig schneller?“ fragte sie, noch immer am ganzen Leib zitternd, während Tarikh zusammen mit Ari versuchte ein Feuer in Gang zu bekommen. Von draußen hörte man einen Stiefel der gegen die Mauer getreten wurde, wohl um den daran haftenden Schnee loszuwerden. Einen Moment später öffnete sich die Tür, was zur Folge hatte dass ein harscher Luftzug, alle Bemühungen ein Feuer zu entzünden, für den Augenblick zerstörte. Finh trat ein und wurde mit argwöhnischen Blicken begrüßt. „Man…nächstes Mal klopfst du gefälligst an du Idiot.“, sagte Tarikh. „Anklopfen? Du spinnst wohl! Du solltest sowieso lieber den Profi daran lassen, wenn du möchtest, dass das heute noch brennt.“ Tarikh warf die wenigen Zweige, die er in der Hand hatte auf den Boden und ging zum Tisch in der Mitte. Dort griff er nach der halbvollen Flasche Schnaps und genehmigte sich erstmal einen Schluck. „Na dann…mach mal du Großmaul.“ Finh grinste verschmitzt und begann nun mit seinem Versuch ein Feuer zu entfachen. Tarikh ging mit der Flasche zum Bett, auf dem die, in löchrige Decken gehüllte, Fia saß. „Hier, nimm nen Schluck davon. Dann wird dir wärmer.“ Fianah sah ihn ein wenig skeptisch an. Sie hatte schonmal eine ordentliche Tracht Prügel von Tarikh bezogen, als sie versucht hatte an diese Flasche zu gelangen. „A…Aber…du hast doch gesagt, dass ist nur für euch und ich darf da nicht dran gehen.“ „Stimmt auch…aber heut ist eine Ausnahme.“ Er hielt ihr die Flasche bereitwillig hin und ihre Augen leuchteten. Schon immer wollte sie wissen, was das für Zeug ist, was die Großen da tranken. Meistens lachten sie dann ziemlich viel und verhielten sich merkwürdig. Sie wollte auch lachen. Also nahm sie einen großen Hieb, spuckte aber die Hälfte davon wieder aus und verzog angewidert das Gesicht. „Das ist ja ekelhaft! Das schmeckt wie…wie…wäääh.“ Tarikh schmunzelte amüsiert und lehnte sich ans Kopfende des Betttes. Nach ein paar Minuten war tatsächlich ein leises knistern zu hören und Finh erhob sich stolz. „Ach…eh ichs vergesse…“ Er trat ebenfalls an das Bett heran und holte etwas aus seiner Gesäßtasche. „Hab ich gefunden.“, sagte er und zuckte mit den Schultern, als er Fia ein neues Paar Handschuhe in den Schoß warf. Sie blickte freudestrahlend zu ihm hinauf und sprang ihn dann förmlich an. „Danke!“ Die Umarmung war nur von kurzer Dauer. Er schob sie wieder von sich weg und ging zurück zum Tisch. „Schon gut.“
Ja…sie mochte die Zeit des Julfestes. Besonders dieses. Denn es war ein besonderes.
*mal wieder schnief und Nase ausputz* Ihr macht mich fertig. Das arme Fia…Ich hab das dringende Bedürfniss mit einem Char Tannengedöhns und Zeugs und Dinge und Familie und…..*schnief*
*schnief* Aber sehr schön, der Junge, der scheinbar grüne Kleidung mochte 😀
Der hätte sie übrigens mit zu Fuhrgut geschleift und gesagt: Frag mal den, der ist toll!
Ruff ol‘ times… Zum Glück ist jetzt alles besser. 😛
auch wunderschön und vor allem, wie die doch alle aus der „Nachbarschaft“ teilweise kommen und dennoch sich nicht immer alle Wege gekreuzt haben, finde ich klasse.
Schön…
Äh…was hätte sie den alten Fuhrgut denn fragen sollen?^^