The frozen tears

Cenedor Faeryllian
16. Dezember 2010 • Kommentare: 6

Vor Jahren..

„… ist ehrenhaft im Kampf für seine Gnaden, Herzog Cinlir Winthallan, gefallen.“

Er sprach und doch … sprach er nicht. Er hörte seine Stimme und doch war sie es nicht. Sein Arm bewegte sich zu einem Salut und doch salutierte er nicht. Er war ein Fremder in seinem eigenen Körper. Er sah sich selbst, wie er sich noch einmal verneigte und sich schließlich abwendete. Der Klang seiner schweren Schritte auf dem Pflaster und das Rasseln seines Kettenhemdes drangen hohl an sein Ohr, wie aus weiter Ferne. Aber die Rufe der Mutter nach dem Warum und die stummen Tränen des Vaters hörte er, als würden sie neben ihm stehen. Selbst den kleinen Burschen, der weinte, obwohl er nicht verstand, dass sein großer Bruder nicht mehr heimkehren würde, hörte er.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Im Winter führte man keinen Krieg, es sei denn es war unbedingt notwendig. Im Winter konnte man kein Getreide anbauen und ein Feldzug verbrauchte unnötig Nahrung, die in einem Winter so oder so knapp bemessen war. Im Winter kehrten die Soldaten heim, die nicht die Grenzposten besetzen mussten. Sie kehrten heim zu ihren Familien, zu ihren Vätern und Müttern, zu ihren Frauen und Kindern. Sie wurden freudig begrüßt, meist sogar unter erleichterten Tränen. Sie wurden in ihr Heim hinein gezogen und der Vater machte den Stuhl, welcher dem Kamin am nächsten war, frei. Heute stand er jenen Männern zu. Heute waren sie Helden. Heute wurden sie wie Könige behandelt. Sie kehrten heim … zumindest die, die noch lebten.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Es war jetzt fünf Jahre her, dass er der sechsten Vorhut in der Armee zugeteilt worden war. Inzwischen hatte man ihn zum Korporal befördert. Nicht, dass er es sich verdient hätte. Man brauchte schlicht jemanden und er hatte fünf Jahre lang überlebt. Das war Grund genug gewesen für den Hauptmann seiner Einheit. Und selbst wenn er andere Gründe hatte, so konnte er ihn jetzt nicht mehr fragen. Der Hauptmann war in einem der letzten Scharmützel vor Einbruch des Winters gestorben. Er und jene drei Männer, die seine Leibgarde waren. Vier weitere Männer, die diesen Winter nicht heimkehren würden. Vier Familien, die diesen Winter vergeblich auf sie warten würden. Vier Stühle, die heute trotz des wärmenden Feuers, kalt bleiben würden.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Nun war es an ihm nach Hause zurück zu kehren. Und doch zögerte er, die Tür zu öffnen. Kehrte er wirklich heim? Es fühlte sich anders an. Fremd. Unwirklich. War er hier wirklich zu Hause? Oder war es schlicht seine Familie, die nach einem langen Jahr seine Rückkehr erwartete? War er nicht vielmehr dort draußen, auf dem Feld, im Lager und in der Schlacht unter jenen Brüdern zu Hause? Es fühlte sich so an. Hier war er nur Gast. Jemand der bei Einbruch des Winters kam und bei Frühlingsbeginn wieder verschwand. Mit all den Anderen. Ein leises Seufzen drang über seine Lippen ehe er die Tür aufstieß und in das Haus eintrat.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Auch er wurde in sein Heim hinein gezogen. Auch er setzte sich auf den Stuhl, der dem Kamin am nächsten war. Auch er wurde wie ein Held, wie ein König behandelt. Man brachte ihm das Essen und die Flasche Eichenfass gereiften Met an den Platz. Sie hatten sie im späten Frühjahr gekauft, auf dem Markt. Sie war teuer gewesen. Sein Vater hatte hart dafür arbeiten müssen und man sah es ihm an. Er wirkte müde. Aber glücklich. Er ließ seinen Sohn sogar den ersten Becher davon trinken, trotz der ganzen Mühen, die er dafür auf sich genommen hatte. Es schmeckte fahl. Genau wie das Essen. Es schmeckte nach Asche. Nach Staub. Nach Sand. Und dennoch lächelte er seinen Vater an, reichte ihm den Becher und bat um mehr. Die Nacht würde lang werden und vielleicht wärmte ihn der Met, denn das Feuer tat es nicht.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Am nächsten Morgen weckten ihn seine jüngeren Brüder, forderten ihn auf, dass er sie heute unterrichten sollte statt des Vaters. Wieder lächelte er und willigte ein, den Unterricht zu führen. Sein Vater gab keine Widerworte, sondern saß schlicht auf seinem Stuhl, rauchte eine seiner Pfeifen und sah ihm zu, wie er seine Brüder unterwies. Wieder hörte er sich sprechen aber er sprach nicht. Wieder sah er sich bewegen aber er bewegte sich nicht. Wieder war er nur Zuschauer in seinem eigenen Körper. Wieder klang alles hohl, wie aus weiter Ferne während die Stille, das trauernde Schweigen in den anderen Häusern so nahe war, als würde es hier ebenso herrschen. Und doch wies er seine Brüder zurecht, lehrte sie, lachte mit ihnen unter dem stolzen Blick seines Vaters.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Aelia, die Jüngste unter ihnen, bat ihn am Abend um eine Geschichte. Er willigte ein und unter den liebevollen Augen seiner Mutter las er seiner Schwester eine Geschichte über das Volk der Unsterblichen, der Elben vor, die sie so liebte. Er las die Zeilen und doch las er nicht. Er schlug Seite um Seite um und doch bewegte er sich nicht. Er lächelte, als die Geschichte zu Ende war und doch lächelte er nicht. Es war als würde er sich selbst zum Zusehen verdammen. Aber das war ihm nur recht. Er war hier nur Gast, sein zu Hause war auf dem Feld. Er gehörte hier nicht hin. Er lebte hier das Leben eines Anderen. Jemand, der er nicht war. Jemand, der er nicht sein konnte. Dennoch nahm ihn seine Mutter in die Arme und dankte den Valar in wenigen Worten für seine Rückkehr.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Der nächste Tag war der letzte, wo der Markt statt fand. Es war der letzte Tag vor dem Julfest. Es war der letzte Tag, wo er alles besorgen konnte, was er für das Julfest brauchte. Seit vier Jahren hielt er eisern an dieser Tradition fest und er würde auch noch in den nächsten vier Jahren daran festhalten. Er würde solange daran festhalten, wie er jeden Winter nach Hause zurückkehrte. Denn das war etwas, dass er tat. Er ging zum Markt, er kaufte die Stoffe, die Farben. Er ging auf dem Speicher und zündete die Kerzen an. Er verbrachte den restlichen Tag und Nacht dort. Es war sein Tribut. Es war sein Geschenk an jene, die immer noch auf dem Feld waren und dort auch bleiben würden bis er eines Tages zu ihnen stoßen würde.

Er hasste den Winter. Er hasste ihn abgrundtief.

Als das erste Licht durch das kleine Fenster im Speicher fiel, verließ er ihn, das Banner zusammen gerollt über die Schulter geworfen. Niemand sprach ein Wort zu ihm. Sie hatten in den letzten Jahren gemerkt, dass dies ein Tag war, den er alleine verbachte, abseits seiner Familie. Sie hatten gelernt nicht das Wort an ihn zu richten, denn auch wenn er nur schwieg, so war das Antwort genug. Wie die letzten vier Jahre zuvor holte er die Leiter und rammte die Holzfüße in den Boden. Wie die letzten vier Jahre zuvor erklomm er Sprosse um Sprosse bis er sich auf dem Dach wiederfand. Wie die letzten vier Jahre zuvor wählte er seine Schritte vorsichtig auf dem schneebedeckten Dach, um zum höchsten Punkt zu gelangen, dem Schornstein. Wie die letzten vier Jahre zuvor entrollte er das Banner und befestigte es mit wenigen Handgriffen am Schornstein, während es sich träge im Wind bewegte. Wie die letzten vier Jahre zuvor setzte er sich daneben hin und blieb dort bis zum Einbruch der Nacht. Wie auch die letzten vier Jahre zuvor verbrachte er diesen Tag mit seinen Brüdern.

Er hasste den Winter. Es wurde Zeit für den Frühling …

Banner von Ost Agar

  1. Cenedor sagt:

    Sorries für den langen Blog. Irgendwie wollten meine Finger nicht aufhören zu schreiben. 😉
    Hier ist by the way das passende Lied zu dem Blog. Irgendwie.
    http://www.youtube.com/watch?v=yMx2SKIRkw4

  2. Giselher sagt:

    Ist aber mal ein trauriges Julfest.

  3. Heridan sagt:

    Kenn ich, das Problem mit den nicht aufhörenden Fingern… Aber das Happy End kommt dann ja in der Zukunft *nickt eifrig*

  4. Eondra sagt:

    Ganz ehrlich? Ich finde ihn nicht zu lang.., ich finde ihn schön. Schön, besinnlich und.. verdammt traurig.. ich mag soetwas.. sehr schön, Schlapps

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