Minas Faer

Der Seneschall gürtete das Schwert, das er nun schon seit so vielen Jahren trug. Er würde es nicht hier lassen. Auch den Ring mit dem Siegel des Hauses führte er mit sich. Allein ein Brief lag gut sichtbar auf dem Tisch. Giselher würde weit weg sein, wenn man ihn am Morgen finden würde und es würde zu spät sein, ihn dann noch zur Rechenschaft zu ziehen. 

Die Stadt würde nicht mehr lange zu halten sein, das wusste Giselher seit Wochen. Sie waren einfach zu wenige und Cinlir war nicht mehr derselbe. Seit Sybell auf dem Krankenlager lag, schien dem Fürsten die ihm sonst innewohnende Energie zu fehlen. Er erfüllte seine Pflichten, er tat für die Stadt was zu tun war. Aber Giselher kannte Cinlir nun lange genug, um zu wissen, dass er es nicht mit dem Herzen tat. Es wurde Zeit eine Entscheidung zu treffen und Giselher traf sie.

Atherton war zunächst misstrauisch, letztlich gewann aber die Vernunft. Giselher würde nicht nur ein Schwert bringen, mit ihm gingen die engsten Vertrauten seines eigenen Haushaltes. Männer, die auf ihren Herrn eingeschworen waren und nicht auf die Ideale einer Stadt, die vielleicht starke Mauern aber kein Herz hatte. Giselher trat in die kalte Nachtluft und blickte in die entschlossenen Augen eben jener Männer.
„Wir haben versucht, Eurer Gattin nahe zu legen, sich auf das Gut zurückzuziehen, Herr.“, berichtete sein Hauptmann. Kurz lächelte Giselher. Bryanne würde tun, was sie für richtig hielt. Sie war die Einzige, die er vollends in seine Pläne eingeweiht hatte und sie hatte selbstverständlich gesagt, dass sie ebenfalls tun würde, was nötig wäre.
„Euer Sohn Gernoth Meroun ist mit den Klingen und Prinzessin Ailis gegangen.“
„Ich weiß“, knurrte Giselher, während er auf das Pferd aufsaß, das man ihn bereit gehalten hatte. „Bleibt nur zu hoffen, dass sie schon weit weg sind, wenn unsere Abwesenheit bemerkt wird. Obwohl ich denke, dass seine Familie ihn schützen wird.“ Noch immer versetzte es den Vater einen Stich, wenn ihm bewusst wurde, dass sein Sohn sich für eine andere Familie entschieden hatte. Aber so wie die Dinge standen, würde es das Haus Aldorn vielleicht ohnedies nicht mehr lange geben. Giselher atmete tief durch, dann nickte er seinem Hauptmann zu. „Los!“

Atherton und Giselher blickten einander an, schließlich senkte Giselher einen Lidschlag seinen Blick. „Ihr bekommt meinen Eid, Herr. Aber ich würde vorschlagen, damit warten wir, bis Zeit dafür ist. Gwaethil Eglainion hält die Brücke und es wird Euren Truppen schlecht ergehen, sollte es Prinz Theron gelingen, sein Banner mit dem seines Vaters zu vereinigen. Atherton nickte. Er war ein Taktierer und ein Stratege. Erfahrung im Feld allerdings fehlte ihm. Ein Nachteil, den er nun ausgleichen konnte, da er Giselher Aldorn, diese vermeintlich treuste Seele des Usurpators an sich hatte binden können. Sein Bruder hatte wohl Recht gehabt. Man konnte jeden Mann für seine Zwecke gewinnen und selbst ein Giselher Aldorn hatte seinen Preis.

Die Kämpfe verliefen gut. Athertons Männer konnten das Südtor halten und Atherton selbst stand mit seinen Bogenschützen auf den Zinnen, um den Gegner mit Pfeilen einzudecken. Giselher stand mit seinen Leuten im unteren Bereich in der Nähe des Tores. Zu weit weg von Atherton, stellte Giselher wütend fest, als er zu den Zinnen sah. „Hauptmann!“, brüllte Giselher über den Lärm hinweg. „Ihr werdet dieses Tor besetzt halten. Ich will, dass nur meine Männer dort sind, verteidigt es mit Eurem Leben, wenn es sein muss!“ Verwirrt suchte der Hauptmann den Blick seines Herrn. „Es ist verschlossen, Herr! Der Elb muss die Brücke halten, er wird es nicht nehmen können.“ Giselher bahnte sich brüllend einen Weg durch die Männer und packte den Hauptmann an der Schulter. „Ihr haltet das verdammte Tor. Nur meine Männer stehen hier! Ihr werdet das verdammte Tor öffnen, sobald ich Euch das verdammte Zeichen dafür gebe. Habt ihr mich verstanden?!“ Der Hauptmann schüttelte den Kopf. „Ja, Herr!“. Er hatte ganz gewiss nicht vor, sich mit Ser Aldorn anzulegen. Giselher rannte bereits wieder los, lediglich sein eigener Bannerträger folgte ihm.
„BLUT FÜR BLUT!“

Giselher sah, wie Atherton den Bogen sinken ließ, um einen neuen Pfeil anzulegen. Der Kampfruf vor den Toren, war deutlich zu hören.
„BLUT FÜR BLUT!“

Zahlreiche Stimmen nahmen den Ruf auf, während Giselher die letzten Stufen zur Zinne erklomm. Noch im Lauf hatte er seine Klinge gezogen. Atherton blickte den älteren erst verwirrt, dann mit einem wissenden Lächeln an. „Ser Aldorn. Ihr wisst, dass Ihr töten müsst, um Euer Ziel zu erreichen. Seid Ihr für ein solches Opfer bereit?“
„Noch nicht.“ Atherton lächelte erneut und blieb, den Bogen noch in der Hand, ruhig stehen. Giselher erlaubte sich einen Blick über die Zinnen. Er konnte Therons Banner ausmachen. Er konnte sehen, dass der Schildwall des Elben sich in Bewegung setzte. Theron war da und er schien wohlauf. Nur Gwaethil konnte er nicht ausmachen. Sehr langsam wendete er die Klinge zu Atherton.

„Jetzt!“ Giselhers Bannerträger reagierte blitzschnell. Vage nahm Giselher war, dass sein Wappen nun über den Zinnen wehte. Unter ihm schwang das Tor weit auf. Giselher hob seine Waffe und schlug zu. Der Streich ging in die Schulter des Schwertarmes seines Gegenübers. „Die Worte meines Eidherrn lauten ‚Blut für Blut‘ Atherton Salas. Das Deine gehört Theron Winthallan.“

Giselher gab seinem Bannerträger den Waffengurt samt Schwert und den Siegelring. „Bring beides zu Theron Winthallan und sage ihm, dass ich sein Urteil erwarte.“