Rogonn hatte die Angel vergessen, die er immernoch in der Hand hielt. Ebenso den kleinen Korb mit den sich windenden Angelködern.
Er schaute wie verzaubert nach vorn auf den kleinen Wasserfall am anderen Ende des dunklen Teiches, wo das aufstäubende Wasser durch die Strahlen der sinkenden Sonne in ein eigentümliches Licht gehüllt wurde.
Die ständig sich wechselnden Formen und Bewegungen faszinierten ihn und fesselten seine Aufmerksamkeit.
Es war, als ob sich ihm ein Geheimnis enthüllte, wenn er nur noch einen Moment länger hinsah. Nur noch einen Moment…
So mußte es wohl sein. Zumindest stellte er es sich nach den Erzählungen, die er gehört hatte, in etwa so vor.
Die Stadt im Nebel. Zwischen dem Dunkel und dem Licht?
Welchen Weg würde sie gehen, diese geheimnisvolle inzwischen berüchtigte Stadt?
Die Erde mit Blut getränkt, die Mauern mit Träumen, Überzeugungen und auch Zwietracht durchwirkt.
Rogonn meinte in dem Wasserdunst Schemen und Gestalten auszumachen und war sich gleichzeitig sicher, daß seine Augen ihn narrten.
Trotzdem blieb er reglos stehen und beobachtete das Schauspiel atemlos.
Sogar geflüsterte Worte konnte man sich einbilden, die vom rauschenden Wasser getragen wurden.
Er fühlte sich an die Toten erinnert und schauderte in der klammen Kühle am Wasser.
Die entscheidende Schlacht um Minas Faer war schon vor einigen Tagen beendet worden.
Eine Schlacht, die scheinbar so gar nichts mit dem ruhigen, ländlichen Breeland zu tun hatte.
Im Breeland wurden bestenfalls Scharmützel um ganz banale Dinge gefochten. Da ging es um Nahrungsmittel für den Winter, vielleicht einen Zugang zu einer lebenswichtigen Quelle, oder Diebstahl.
Diese Schlacht jedoch wurde im Grunde genommen um eine Idee geführt. Etwas, das nur in den Köpfen der Menschen existierte, das aber dadurch nicht minder real geworden war.
Eine Schlacht, die das tägliche Leben im Breeland im Grunde gar nicht beeinflussen sollte.
Und doch hinterließen die Verluste dieser Schlacht auch hier ihre Wunden.
Viele hatten sich einer der beiden Seiten angeschlossen. Groß war die Zahl der Verluste.
Zu ihnen gehörten Rivalen und Freunde.
Brenneghan hatte große Verluste erlitten. Fianah war tot, genauso wie Atherton. Von Hylea hatte er lange nichts gehört.
Und auch Sethur war einer davon.
Rogonn hielt inne und gestattete sich einen Moment der Trauer um diesen ernsten, blassen Mann, den er voller Überzeugung Freund genannt hatte.
Er würde ihm fehlen. Und all diese Gespräche, in denen ihre Ideen und Zukunftspläne aufgeleuchtet hatten, wie Sommergewitter.
Diese Pläne würden wohl unvollendet bleiben.
Er würde es nicht zugeben, aber er fühlte sich um einiges einsamer, als zuvor.
Den Berichten nach war Winthallan durch Sethurs Hand zu Tode gekommen. Sethur hatte die Klinge geführt.
Auch die Fürstin sollte er auf dem Gewissen haben.
Und Lady Aldorn, die lebenslustige, freundliche Frau, die er ironischerweise auf Sethurs Abschiedsfeier kennen gelernt hatte, hatte ihn von hinterrücks erdolcht hieß es.
Dafür gab es einige Zeugen.
Um den Toten allerdings sponnen sich zur Zeit die blühendsten Gerüchte und Legenden, denn der Leichnam Sethurs war verschwunden.
Er sei – so sagten manche – in einem unbeobachteten Moment einfach wieder aufgestanden und fortgegangen, ohne zurückzublicken.
Weder tot, noch lebendig.
Andere wollten ihn spät am Abend vor den Mauern oder sogar in den Straßen von Minas Faer gesehen haben, die Dolchwunde immernoch sichtbar, eine dunkle Schattengestalt mit glimmenden Augen im nebligen Zwielicht.
Mit kaltem Spott – hieß es – starre er auf die Mauern der Stadt und an ihm haftete der Geruch des Todes.
Und obwohl Rogonn auf solch abergläubisches Geschwätz nicht viel gab ertappte er sich dabei, wie er ein Zeichen gegen das Böse schlug.
Wenn das so weiter ging, dann vereitelte das Prinz Therons Plan, Sethur aus dem Gedächtnis Minas Faers zu streichen. Zumindest fürs erste.
Prinz Theron.
Wohin würde er sich wenden? Wer war er?
Hätte Cinlir Winthallan, oder Salas die Schlacht gewonnen, hätte Rogonn wenigstens eine ungefähre Ahnung gehabt, wie Minas Faer in Zukunft geführt werden würde.
Theron aber war ein unbeschriebenes Blatt. Wie sehr war er der Sohn seines Vaters?
Die Zeit würde es zeigen.
Einige Informationsquellen waren im Verlauf des sich zuspitzenden Konfliktes versiegt. Es mußten neue gefunden werden.
Solche Sondierungsgespräche mußten mit äußerster Vorsicht geführt werden, um nichts zu verderben.
Er mußte sich also einstweilen mit Abwarten zufrieden geben.
Die Sonne war noch ein Stück tiefer gesunken und der Zauber des Lichtspiels im Wassernebel war gebrochen.
Rogonn blinzelte und schaute sich nach seinen bewaffneten Begleitern um.
Odo hatte ihn bereits besorgt beobachtet, wie er jetzt feststellte.
„Herr?“
Rogonn machte sich daran die Angelschnur aufzuwickeln und nickte nur.
„Wir gehen.“
Rogonn war eigentlich beim Angeln am liebsten allein, aber die Marodeure, die noch immer durch das gesamte Land zogen, machten bewaffneten Geleitschutz unerlässlich. Und so hatte Rogonn mehr Wachen einstellen müssen.
Noch eine unerwünschte Begleiterscheinung dieses Krieges.
Rogonn haßte den Krieg.
Nur wenige Karawanen und Lieferungen erreichten zur Zeit unbeschadet ihr Ziel.
Er schüttelte unwillig den Kopf und schaute dann noch einmal nachdenklich zum inzwischen dunklen Wasserfall zurück.
Minas Faer.
Nun also, Prinz Theron. Ihr müsst den Nebel verlassen. Wohin werdet Ihr Euch wenden, ins Dunkel oder ins Licht?
Das ist mal eine geniale Sicht und mit dem Blogtitel gleich noch toller *nachdenklich nochmal les*
Unendlich grandios, Sonja. Toll geschrieben und ein toller – auch wenn’s natürlich nicht der Abschluss sein muss! *in die Runde blick* – Abschluss.
…besonders natürlich, weil Sethur für den Augenblick sogar von Minas Faer nicht vergessen wird. Das freut. *g* Danke Sonja und Solan, ihr seid so lieb zu meinem Char, die einzigen weit und breit! *sterbender Schwan* 😀
Mich erinnert das an Les Miserables: Emtpy Chairs at Empty Tables 😀 Sehr schön, sehr schön.
Ich mag die Geschichte mit Sethur als Geist 😉
Und Sethur, ich hau Dich gleich. Ich war auch lieb zu Deinem Char 🙁
Danke, danke! *verneig*
Und ich hoffe doch, daß das noch nicht das Ende der Reihe ist!
Solange noch nicht alle tot sind, und jemandem noch was einfällt, schreibt! 😀
Nagut, stimmt. Aber du hast ihn auch umgebracht! …auf die tollste und würdigste Weise, die’s für Sethur so geben kann, schätze ich. Schnell, sauber, weitgehend schmerzlos und klingenmäßig gewürdigt. 🙂