Als ich aufwache, bin ich schweißgebadet. Mein Herz rast und das Kleid klebt an mir. Es ist dunkel draußen und im Anwesen ist es still. Ich höre meinen eigenen Herzschlag und mein Blut in meinen Ohren rauschen. Draußen ist es dunkel. Ich fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht, der Traum ist noch zu frisch in meinem Geist.
Nein, kein Traum. Eine Erinnerung an etwas, das am liebsten nie geschehen wäre. Das nie hätte geschehen dürfen.
Vergebens versuche ich, wieder in den Schlaf zu finden. Es sind jene Stunden der Nacht, die mich wahnsinnig machen. Mein Blick fällt auf das Schwert, wie es in der Scheide an der Wand lehnt. Vaters Schwert.
Die Decke engt mich ein, ich werfe sie von mir. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, also stehe ich auf, greife mir das Schwert und stapfe nach draußen. Die Nachtluft tut gut. Ich atme einmal tief durch, dann gehe ich von der Tür weg. Das Gewicht des Schwertes hat etwas Befremdliches und Beruhigendes zugleich.
Auf der Wiese ziehe ich das Schwert langsam aus der Scheide. Es blitzt im Mondlicht. Das Geräusch der aus der Schwertscheide gleitenden Klinge hat etwas Respekteinflößendes. Als ich dort stehe, langsam das Schwert schwinge, muss ich an meine erste Lektion von Meister Mardil.
„Du bist spät, Junge!“, schimpft mich ein mir unbekannter Mann,als ich in den Saal komme. Seine Stimme ist seltsam weich und melodiös. Er wirft mir ein Holzschwert zu, dass ich vor Schreck fallen lasse. Daraufhin wiegt der Mann nachdenklich den Kopf, ein Zwinkern in den dunklen Augen. „Morgen wirst du es fangen.“, meint er zuversichtlich.
„Wer seid Ihr?“, frage ich wütend ob seiner Frechheit, aber ein wenig reizt mich dieser Mann.
„Ich“, sagt er und geht zu dem Holzschwert, das ich fallen ließ. „Ich bin Mardil, dein Tanzlehrer.“
Meine Verwirrung könnte nicht größer sein. Tanzlehrer? Aber der fuchtelt doch da mit einem Holzschwert herum!
„Dein Vater schickte nach mir, damit ich dich den Tanz des Schwertes lehre, Junge.“
Sein herablassender Tonfall geht mir gehörig auf die Nerven, also fahre ich aus der Haut und gifte ihn an, dass ich kein Junge sei! Er zuckt nur die Schultern.
„Junge, Mädchen, was macht das schon! Du bist ein Schwert! Nur das ist wichtig.“, sagt Mardil und wirft mit im nächsten Moment mit einem „Hepp!“ das Holzschwert zu. Ich fange es. Nun langsam beginne ich zu begreifen, was dieser Mann hier soll. Und lächele. Er lacht und nickt mir lobend zu. Dann runzelt der Mann die Stirn und tritt zu mir.
„Du stehst völlig falsch da! Stell dich seitlich! So ist es gut. Du bist klein und zierlich….das ist gut! So bist du schwerer zu treffen! Der Griff um die Klinge muss feiner sein, weniger fest!“
„Aber dann lasse ich das Schwert fallen!“, protestiere ich.
Auf einmal holt Meister Mardil mit dem Holzschwert aus, seine Schwünge sind elegant, seine Bewegungen ebenfalls.
„Der Stahl wird Teil deines Armes, Junge! Kannst du deinen Arm fallen lassen?“
Auf einmal zeigt die Schwertspitze auf mich und wieder lächelt Meister Mardil spitzbübisch.
„Ich lehre dich nicht den Tanz Gondors, das Hacken und Stechen, das Tragen von Bastardschwertern und Zweihandschwertern, nein. Ich lehre dich den Wassertanz, jede Bewegung geht in die andere über, du bleibst nicht stehen. Dieser Tanz ist elegant….und überraschend!“
Das letzte Wort brüllt er und auf einmal ist die Klinge über meinem Scheitel.
Ich tauche aus dieser Erinnerung auf wie aus einem Teich. Auf einmal stehe ich wieder auf der Wiese. Probeweise mache ich ein paar Schwünge. Das Schwert ist schwer, es ist nicht für mich gemacht.
„Das Schwert ist zu schwer! Ich kann es nicht nur mit einer Hand halten““, beschwere ich mich bei Meister Mardil. Dieser winkt ab.
„Du kannst deinen Arm auch nicht verlieren und das Schwert ist so schwer, wie es sein muss, damit es dich stark macht, Junge! Und denk daran, du umklammerst keine Axt, sondern….“
„Eine Nadel“, unterbreche ich meinen Lehrer grinsend. In diesem Moment denke ich an Nadel, das Schwert, das mir mein Bruder nur wenige Tage zuvor geschenkt hat. Ich werde kurz bitter, weil er fort gehen musste. Mardil lächelt breit.
„Genau so!“, meint er zufrieden.
Wir tanzen. Während unserer ersten Stunde tötet er mich neun Mal. Aber das ist Vergangenheit.
Nun bin ich hier, führe eine Klinge, die nicht für mich gemacht ist, tanze, Schritt um Schritt den Wassertanz. Allein, ohne Mardil, der tot ist. Mir fällt auf, dass ich den Mann ebenfalls vermisse. Ich zwinge mich, nicht an ihn zu denken, während ich die vertrauten Schritte gehe, die Bewegungen des Arms fühle und nach imaginären Gegnern schlage und steche, einmal langsam und unaufhaltsam wie der Lauf eines Flusses, dann wieder zuschnappend wie eine Schlange. Ich zwinge mich, meinen Lehrer zu ehren, in dem ich weitertanze, bis mir der Arm brennt. Erst mit dem fahlen Licht des ersten Morgens, gehe ich wieder ins Haus und bereite mich auf den Tag vor. Das Schwert meines Vaters ruht wieder in der Scheide an der Wand.