„Ich bin froh, dass mein Herr seinen Willen nicht durchsetzen konnte.“ Der Seneschall lehnte sich zurück und betrachtete diesen ersten Satz mit einiger Skepsis. Ganz richtig war das nicht. Er wusste, dass Cinlir keinen sehnlicheren Wunsch hatte, als das Breeland endlich hinter sich zu lassen. Er selbst sah das ganz anders. Die letzten zwei Jahre hatten ihn gründlich gelehrt, dass Bree immer seine Heimat sein würde, ganz egal wo man ihm Titel, Land und Ehren verleihen mochte.
Zugegeben, die Leute hier waren vielleicht etwas zu sehr auf ihre eigenen Belange bedacht und wollten oder konnten nicht sehen, dass die Welt in einen Wandel war, dem sich niemand würde verschließen können. Auf der anderen Seite war es genau das, was die Breeländer ausmachte – sie sorgten sich um den nächsten Regen, die Ernte, vielleicht noch die Frage, ob Bürgermeister Gustav Zartlerche der Retter oder die Geißel der Stadt Bree war. Ihre Sitten waren im Vergleich zu denen der Elben und der Menschen Gondors vielleicht rau; aber immerhin verzichteten sie darauf, jedes mal ein Gedicht zu rezitieren, wenn die Wolkenformation an die Geschichte von irgendwelchen Elben oder hohen Menschen von vor 1000 Jahren erinnerte. Giselher atmete tief durch und zog den Becher Tee zu sich. Es war einfach nur Tee, ohne eine Verbeugung, ohne ein Hinweis auf die sorgsame Ernte der Blätter oder ihre Bekömmlichkeit. Die Elben waren höflich und hatten ihn immer mit Ehrerbietung behandelt, aber Himmel, wie hatte er seine Heimat vermisst! Schließlich nahm er die Feder zur Hand und strich den ersten Satz.
„Ich bin dankbar für die Zeit, die ich nun hier verbringen darf.“ Giselher schmunzelte. Er war sich ziemlich sicher, dass er spätestens in einer Woche die Sache ganz anders bewerten würde. Cinir musste notgedrungen seinen Haushalt wieder nach Bree verlegen und das bedeutete für seinen Seneschall, es seinem Herrn möglichst nicht allzu schwer zu machen. Cinir hatte es mehr oder weniger deutlich gesagt: die Tatsache, dass er sich einem Befehl zu beugen hatte, schmeckte dem Fürsten noch weniger als die Tatsache, dass seine Pläne durchkreuzt waren. Im Grunde war es weit sinnvoller vor Ort zu bleiben. Die Lage in Gondor war bestenfalls unsicher und Giselher konnte nur allzu gut nachvollziehen, dass der Fürst weder seine Kinder noch seine Frau einem ungewissen Schicksal entgegen führen wollte.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken. Dem Klopfen folgte ein rothaariger Wirbelwind, der ins Zimmer stürmte, in der Hand ein Holzschwert, das einer Elbenklinge nachempfunden war und eher einem Kunstwerk, denn einem Spielzeug glich. Der Seneschall sprang auf, riss den Teebecher an sich und hob ihn außer Reichweite des Kindes.
„Gernot“, entfuhr es ihm. „Ich habe Dir gesagt, dass Du diesen Raum nur betrittst, wenn Du angeklopft hast!“ Der Junge schaute ihn aus großen Augen an, während Giselher den Becher wieder auf den Tisch stellte und sich auf den Stuhl setzte. Der Anblick der gekräuselten Stirn seines Sohnes ließ jeden Zorn von ihm weichen.
„Ich _habe_ geklopft, Vater“, stellte der Junge schließlich fest und hob sein Holzschwert wieder. Giselher musste schmunzeln.
„Du hast recht, mein Junge. Ich ergänze um: und Du musst die Erlaubnis bekommen, den Raum zu betreten.“
Der kleine Gernot ließ sein Schwert wieder sinken und schien diese neue Anordnung ernsthaft zu überdenken.
„Auch, wenn ich kämpfe?“, fragte er seinen Vater. Der Seneschall nickte und bemühte sich, dabei sein Schmunzeln aus dem Gesicht zu bekommen.
„Gerade dann mein Sohn“, antwortete er mit dem nötigen Ernst. „Deine Mutter ist eine Klinge, ich wäre töricht, wenn ich Deine Fähigkeiten unterschätzen würde.“ Das Gesicht des Jungen erhellte sich, dann nickte er.
„In Ordnung, bekomme ich trotzdem ein Glas Milch… und auch einen Keks?“ Giselher beugte sich vor und wuschelte seinem Sohn durch das lockige, rote Haar.
„Ab mit Dir, ich bin sicher, Deine Mutter wird Dir helfen können.“ So schnell wie er gekommen war stürmte der Knabe mit erhobenen Schwert auch wieder hinaus. Stattdessen lugte der Kopf eines Gardisten herein.
„Es tut mir leid, Herr. Ich weiß, Ihr habt gesagt, dass ihr nicht gestört werden wollt. Aber es ist doch nunmal Euer Sohn und i…“ Der Mann unterbrach sich, als Giselher beschwichtigend die Hand hob.
„Es ist gut, Telphor. Solche Dinge machst Du am besten mit dem Hauptmann aus, der“, und hier gestattete sich der Seneschall ein Lächeln, „zu meinem nachhaltigen Glück nicht ich bin.“
Das eigentliche Glück war gewesen, dass Akirah Taramer offenbar nur wenige Monate vor dem Fürsten wieder im Breeland angekommen war. Giselher konnte sich erinnern, dass er und die Dame Claddagh Arynn eine Reise angetreten hatten. Den Zweck derselben kannte er nicht, aber er hatte seinerzeit Claddagh darum gebeten, dem Gardisten so etwas wie Manieren beizubringen. Der Mann war ein fähiger Gardist. Giselher hatte allerdings am eigenen Leib erfahren, dass das nicht reichte, wenn man auch ein guter Offizier sein sollte. Erst recht nicht in Gondor.
Taramer war genau genommen der einzige Gardist, der nicht mit dem Haushalt die Reise Richtung Gondor angetreten hatte. Giselher hatte nicht lange gezögert und den Mann kurzerhand zum Hauptmann der Garde in Bree ernannt. Mit dem ihm eigenen knappen Worten hatte Taramer die Befehle entgegengenommen. Neu war, dass er Worte wie ‘danke’ in seinen Vokabular hatte und auch benutzte. Offenbar hatte die Arbeit Claddaghs Früchte getragen. Der Seneschall nahm sich vor, bei Gelegenheit mit beiden zu sprechen.
Ja, es fühlte sich richtig an, nach den Jahren in Bruchtal wieder Zuhause zu sein.
Wir werden uns über die Definition von „Zuhause“ noch etwas unterhalten müssen, Herr Seneschall! 😀
*schaut glücklich dümmlich grinsend so herum*
😀
Hach, traute Heimeligkeit 🙂