Alte Legenden…

Rodgar Wogenwolf
28. November 2008 • Kommentare: 2

Er hatte sich an die hinterste Wand der dunklen höhle gesetzt.

Das feuer warf abstrakte Schatten an den kalten Stein die wie züngelnde Geister ihre

Seltsamanmutenden tänze vorführten.Draußen tobte der Sturm und dessen heulender Wind erinnerte ihn an eine sehr alte Geschichte aus längst vergangener Zeit…..

 

Einst, bevor Anor am Himmel erschien, gab es einen gewaltigen Eiswolf, dessen Zähne lang wie Speere waren. Dieser Mächtigste aller Wölfe, mit einem Körper größer als alle Schneetiger, pflegte den Menschen im Sommer zu folgen auf ihrer immerwährenden Wanderung und riss sie in Scharen. Nur im Winter, wenn die menschen wieder gen Norden zogen, blieb er in seinem Versteck. Viele verschlang er mit einem einzigem Haps. Schließlich fasste eine junge Jägerin gegen den Rat vieler anderer Mut und folgte ihm in sein Versteck in den Weiten des ewigen Eises.
Die junge Jägerin wurde Estel genannt, („Hoffnung“). Sie folgte den blutigen Fußspuren des großen Eiswolfs in die Ödnis, dort wo der festeste und kälteste Schnee liegt, der niemals taut. Die Kälte brannte ihr in Mark und Bein, ihr Körper schmerzte mehr und mehr auf dem langen, schier endlosem Marsch durch die ewig finstere Winternacht über den in helles blau getauchten Schnee. Schon einige Tagesmärsche hatte sie zurückgelegt, doch sie konnte nicht mehr umkehren, war der Weg doch zu lang.

Nach einer weiteren Tagesreise wurde der Schnee zu Eis, und sie vernahm sein Knacken und Knistern und meinte, darin die Worte der Alten zu hören:
„Der große Wolf hat Hunger. Keine Pflanzen wachsen auf der weißen Ödnis, und er könnte sie ohnehin nicht kauen. Drum ist er so ohne Erbarmen, denn Hunger treibt ihn an. Wir jedoch hetzen unsere Beute nicht, und wir folgen ihr auch nicht. So wirst du schwächer sein als er, und drum ist’s dumm, misst du dich mit dem Jäger. Viele von uns mag er verschlingen, doch genug überleben hier auf der Steppe. Auf eisigem Grund jedoch wirst wenig Halt du finden, und da du sein Land nicht kennst, wird er dich überraschen und verschlingen ob deines dummen Plans.“
Wieder und wieder hallten die Worte durch ihren Kopf, bis sie sich die Ohren zuhielt, weil sie das Knacken nicht mehr aushielt. Und mit einem Schwall ihres warmen Atems stieß sie zugleich etwas tief aus ihrem Innern aus:
„Er kommt zu uns beinahe aus dem Nichts, jagt uns in der Nacht, folgt uns jaulend und zähnefletschend und wirft nach einer qualvollen Weile erst einen von uns hoch und in sein Maul! Warum sollten wir uns nicht wehren gegen solche Gewalt?“

Müde und verzweifelt sank sie in das kalte Nichts, das sie umgab. Nach ein paar Augenblicken spürte sie den heißen Atem hinter sich, und als sie ihre Augen rückwärts richtete, sah sie nichts als zwei große goldgelbe Augen in der bläulichen Nacht. Dann fletschte das Biest seine Zähne, und ihr war, als würde es zu ihr mit tiefer Stimme sprechen:
„Ich bin der große Eiswolf. Ich fresse, wenn der Hunger mich fast verbrennt, und ich reiße, wen ich kriege!“

Dann stürzte das Untier nach vorn, und die großen Zähne seines Mauls waren verschmiert von Blut und furchteinflößend. Und einen Moment wollte Estel davonrennen oder sich ängstlich dem Großen ergeben. Aber dann, mit dem Mut, der in ihrem tiefsten Innern jenseits der Gedanken wohnte, stieß sie sich zur Seite und löste ihren Speer von ihrem Rücken und stach in das rechte Auge, als es an ihr vorbeikam. Die Waffe zerbrach, das Blut spritzte im hohem Bogen, bis zum Mond, und durchtränkte ihn, sodass er seither im gedenken dieser Mutigen Tat allabendlich Tiefrot über den Bergen steht.Der Große Wolf heulte laut auf vor Schmerz, krümmte und drehte sich auf die andere Seite, und Estel nahm ihre Keule und hämmerte auf ihn ein, und bald bewegte er sich nicht mehr. Wieder müde sank sie zu Boden, bald so kalt wie ein Stein.

Da berührte sie vorsichtig den toten Körper, nur um zu spüren, dass es wirklich war – dass der Große Wolf sein Leben ausgehaucht hatte. Der riesige Leichnam war noch warm, und so halbierte sie ihn und trug eine Hälfte der Wärme wegen als Schutz auf dem Heimweg.
Immer wieder schaute sie auf das noch halb intakte linke Auge und die großen, gelb angelaufenen Zähne. Obwohl der Kadaver schrecklich stank, erinnerte er sie doch an jene kleinen Tiere, welche die Menschen selbst erlegen. Schließlich erreichte sie ihren Stamm wieder.

Alle staunten, waren stolz auf sie und schauten sich den Leichnam an. Da sie wenig hatten, kochten sie das Fleisch und verteilten es an die Menschen.Auch Estel aß von dem Fleisch, während sie am Feuer saß. Dann ging sie zu den Alten, mit denen sie noch nicht wieder Worte gewechselt hatte seit ihrer Rückkehr.

Und die Alten fragten:
„Hast du ihn getötet?“
Und sie sagte „Ja.“
„Werden wir jetzt Ruhe haben?“
„Nein.“
„Warum?“
„Weil Ruhe den Tod bedeutet. Leben bedeutet Wandlung, Hunger und Flucht. Wir sind wie er, weil wir leben. Und andere auch, weil sie eben leben. So ist der Lauf des Lebens. Fressen und gefressen werden sind nur zwei Seiten ein und derselben Klinge. Wenn wir das Recht auf Freiheit und die Wahl des Weges haben, dann steht sie allen zu.“

So ist das Leben.

 

(©)

  1. Liniath sagt:

    Nett ^^, aber irgendwie hab ich mir von Rod erhofft – wo er steckt, was er macht, wie es ihm geht, was er denkt, und so weiter. Dennoch toller blog ^^

  2. Mewen sagt:

    Tolle Geschichte *zweites Mal les* 🙂

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