Minas Faer

Die Haustür ging und eilige kleine Schritte näherten sich dem Zimmer. Sie hörte schon die Rufe ihrer Tochter und öffnete die Tür. „Mami, Mami sieh mal.“ Alihn streckte ihrer Mutter ein Kätzchen entgegen und ihre großen blauen Augen sahen sie besorgt an, ehe sie wie ein Wasserfall weiter sprudelte: „Die hab ich draußen gefunden. Sie ist ganz komisch gelaufen und hat ganz furchtbar jammerig gemauzt. Ich glaub irgendwas ist mit ihrer Pfote. Kannst du sie wieder heil machen?“ Fianah lächelte und sank etwas schwerfällig auf die Knie, um die Pfoten des Kätzchens zu untersuchen. Es war nicht das erste Mal, dass ihre Kleine mit kranken oder verletzten Tieren zu ihr kam. Mittlerweile war sie Spezialistin was Katzen, Igel und Vögel anging. Selbst eine Spinne, der ein Bein fehlte, wurde schon zu ihr gebracht. Alihn hatte bitterlich geweint, als sie ihr sagen musste, dass sie weiterhin nur sieben Beine haben würde. Seither war diese Spinne ihr Hausgast, denn ihre Tochter hatte es sich zur Aufgabe gemacht auf sie aufzupassen. Immerhin würden die anderen Spinnen sie bestimmt hänseln, mit einem Bein weniger.

„Das scheint nur eine leichte Verstauchung zu sein. Sie wird also bald wieder gesund sein, mein Schatz.“ Alihn atmete erleichtert aus und überreichte ihr das Kätzchen. „Prima, dann hol ich Indigo erstmal ein bisschen Milch. Sie sieht nämlich ziemlich abgemagert aus, stimmts?“  Sie nickte schmunzelnd. „Mach das, aber wir haben keine mehr im Haus. Geh am besten zu deinem Onkel. Ich bin sicher er hat welche. Und tu mir bitte den Gefallen und richte ihm aus, dass ich etwas sehr interessantes bezüglich unseres Projekts entdeckt habe. Wenn er Zeit findet, soll er sich das mal ansehen.“ Die Kleine nickte hastig und eilte zur Tür hinaus.

Sie ging immer gern zu ihrem Onkel, denn da gabs immer spannende Dinge zu sehen und auszuprobieren. Auch wenn er manchmal versuchte sie auf den Arm zu nehmen. Hatte er doch tatsächlich behauptet ihre Tante wäre ein Drache! Bei dem Gedanken schüttelte sie kurz den Kopf. Das war so gemein!, weil sie den beiden auch noch geglaubt hatte. Tante Nephi sah ja auch ein bisschen anders aus. So dunkel. Naja…irgendwann hatte sie dann mal in einem Buch geblättert und gesehen wie richtige Drachen aussehen. Da hätte ja Gwaddi noch eher ein Drache sein können, als ihre Tante! Sie hatte dann auch erfolgreich einen ganzen Tag lang nicht mehr mit den beiden geredet. Ja, sie konnte stur sein, wenn sie wollte…aber wer kann schon diesen leckeren Zuckerstangen widerstehen, die Onkel Heri immer macht. Außerdem war sie immerhin die Zweitälteste hier. Gut, da war noch Theron…aber der ist ein Junge, also zählt das nicht. Zweitälteste! 

Fianah hatte gerade die gestauchte Pfote von Indigo verbunden, als ihr kleiner Wirbelwind mit einem Krug Milch wieder kam. Alihn stellte den Krug auf den Tisch und sah ihre Mutter streng an. Sie stemmte die Arme in die Hüfte und hob belehrend den Zeigefinger. „Onkel Heri sagt, er kommt in einer Stunde vorbei und du sollst dich hinsetzen und dich ausruhen. Er sagt ich bin bald die große Schwester und muss aufpassen, dass du dich und mein kleines Geschwisterchen schonst.“ Fianah lachte leise und setzte sich in den Schaukelstuhl, in dem sie schon Alihn zum einschlafen gebracht hatte, als sie noch ein kleines Baby war.

Jetzt, sechseinhalb Jahre später, betrachtete sie ihre Erstgeborene, wie sie in ihrem roten Kleidchen näher kam, auf den Stuhl zu ihr kletterte und sich ankuschelte. Fianah strich ihr durch die hellblonden, lockigen Haare und summte eine leise Melodie, während Alihn den Kopf auf den Bauch ihrer Mutter legte und leise mit ihrem Geschwisterchen flüsterte. „Du musst bald da raus kommen, hörst du? Unsere Mami wird nämlich immer runder, so lange du da drin bist. Manchmal denke ich schon sie platzt irgendwann, aber sie hat mir gesagt, dass das nicht passieren kann. Ich bin trotzdem nicht so sicher.“ Sie freute sich schon wahnisinnig auf ihre kleine Schwester oder ihren kleinen Bruder. Ailis und Theron hatten es gut. Die hatten immer jemanden zum spielen, auch wenn sie nicht da war. Und vielleicht würde sie dann auch endlich ein eigenes Baumhaus bekommen und zur Abwechslung mal die beiden zu sich einladen. Wobei die zwei bald sowieso nicht mehr soviel Zeit zum spielen haben werden. Unterricht, bei einer Hobbitdame hatte Theron gesagt. Und Ailis würde wohl bald zu Fenya gehen, um ein Instrument zu lernen. Und sie…sie würde…

Alihn hob den Kopf wieder an. „Mami! Ich hab doch heute meine erste Reitstunde!“ Aufgeregt sprang sie wieder von dem Stuhl herunter. „Ich muss mich noch umziehen. Tante Svea hat gesagt richtig reiten, lernt man nicht in einem Kleid.“ Fianah musste schmunzeln. Ja, darüber waren sie sich schon in einem ihrer ersten Gespräche einig gewesen.  Damensättel, waren nur was…für Damen eben. Sie vermisste die gelegentlichen Ausflüge mit ihrer Freundin nach Bree, wo sie sich regelmäßig ein oder vier Krüge exquisitestes breeländisches Bier, bzw.  Wein gönnten und bis in die späten Abendstunden hinein redeten und lachten. Naja…bald würde auch das wieder möglich sein.

Nachdem ihre Kleine sich umgezogen, Indigo noch die versprochene Milch hingestellt und schließlich eilig das Haus verlassen hatte, musste Fianah an ihre erste Reitstunde denken. Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Ein Zaun und Stroh. Alihn würde das Glück haben gleich auf einem Pony sitzen zu dürfen, dessen war sie sich sicher. Zufrieden lächelnd schaukelte sie weiter und streichelte ihren Bauch. Schon lange musste sie niemand mehr fragen, ob sie hier glücklich war. Man sah es ihr an.